Ungeachtet der Tatsache, dass Otto Normalverbraucher für gewöhnlich mit der Herde läuft, schwimmt er häufig gegen den Strom und greift nicht nach jenem Produkt, für das intensiv die Trommel gerührt wird. Dies deshalb, weil ihm die einschlägigen Verkaufstricks geläufig sind. Wenn mithin politisch versucht wird, den Bürger mit unbewussten Anreizen, sogenannten Nudges, zu nachhaltigem Verhalten anzuleiten, muss es zwangsläufig Kritik hageln. Selbst dann, wenn gegen eine gesunde Ernährung, den Gang in die Corona-Impfzentren oder den Verzicht auf Alkohol und Nikotin an sich nichts spricht.
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Anregung statt Intervention
Der Name ist Programm. To nudge bedeutet wörtlich übersetzt schubsen, stupsen. Mit Nudges, sprich Stupsern, sollen Menschen mithin diskrete Entscheidungshilfen zur Hand kriegen, die für ein gesünderes, glücklicheres Leben bürgen. Dass Nudging der Verhaltensökonomie geschuldet ist, versteht sich damit von selbst. Geboren wurde diese Idee des sanften Anstoßes zu vernünftigem Gebaren von Cass Sunstein und dem Nobelpreisträger Richard Thaler. Ihrem libertären Paternalismus zufolge trifft der Mensch nicht immer jene Entscheidungen, die ihm zum Vorteil gereichen. Ergo ist am Unterfangen kein Arg, ihn diskret, aber gezielt mit entsprechenden Handlungsimpulsen aufs rechte Gleis zu bringen.
Quelle: Becker Friedman Institute for Economics auf Twitter
Entscheidend ist, dass nicht mit Verboten und Interventionen* gearbeitet wird, sondern der Einzelne seine Wahl aus freien Stücken trifft. So genügt erfahrungsgemäß der rote Ampelpunkt auf dem Schokoriegel, um dem Konsumenten das Gefühl zu vermitteln, wie ein Kind behandelt zu werden, dem das A und O des Lebens erst vermittelt werden muss. Fazit: Der Konsument greift erst recht zur süßen Verführung. Ähnliches gilt für die Fettsteuer. Die höheren Preise von Fritten und Wurst haben absolut nichts am Essverhalten der Dänen geändert.
Politisches Interesse an Verhaltensänderung
Selbstredend haben auch Verbote ihr Gutes. Immerhin ließ sich mit ihnen etwa der Zigarettenkonsum deutlich senken. Im Allgemeinen ist allerdings mit positiven Anreizen um ein Bedeutendes mehr zu erreichen. Und dieser Nudges bedarf der gemeine Mann allemal. Immerhin hat er Tag für Tag bis zu 240 Entscheidungen am Hals. Allein im Supermarkt hat er aus gut 25.000 Lebensmitteln die geeignete Auswahl zu treffen. Und wenn im Lichte dessen fortan der Apfel statt eines Schokoriegels in den Einkaufswagen wandert, leuchten die Augen der Politiker. Immerhin entlastet jeder Apfel mehr im Einkaufswagen das Sozial- und Gesundheitsbudget enorm. Nicht von ungefähr hat Angela Merkel im Februar 2015 Cass Sunstein zu sich nach Berlin beordert, um sich aus erster Hand über Möglichkeiten einer Veränderung zu nachhaltigem Konsumverhalten zu informieren. Ja, Barack Obama ging gleich David Cameron seinerzeit noch einen Schritt weiter und bestellte den renommierten Wissenschaftler der Harvard Law School und Richard Thaler vom Center of Decision Research in Chicago zu Beratern.
Mittlerweile ist es ein Leichtes, das Nudging an Beispielen festzumachen. Wenn sich in den Kantinen der Google-Niederlassungen Obst und Gemüse des besten Standorts erfreuen, ist ein klares Signal punkto Gesundheit gesetzt. Auch die Raucherzonen in Gasthäusern und öffentlichen Gebäuden schlagen in die gleiche Kerbe. Entscheidend ist es aber stets, die Gesundheitssünden nicht zu verbieten. So darf in den Kantinen das Fleisch so wenig fehlen wie in Büros die Möglichkeit, sich eine Zigarette anzustecken. Dass der Zigarettenkonsum dabei den Gang ins Freie erheischt, nimmt der Raucher gern billigend in Kauf.
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Überhaupt mangelt es nicht an Verwertungsmöglichkeiten von Nudges. Wenn die Organspende mit dem Opt-out-System arbeitet, haben nachweislich bis zu 99 Prozent der Bürger des Landes den Organspendeausweis in der Tasche. Dementsprechend niedrig ist die Spendebereitschaft in Ländern, die sich für das Opt-in-System entscheiden. Insofern ist es nur verständlich, dass Politiker mit einer Ausdehnung von Nudges auf die Altersvorsorge, die Wärmedämmung von Eigenheimen oder die termingerechte Einreichung von Steuererklärungen kokettieren.
Durch und durch gute Erfolgsaussichten
• Auf das impulsive System ist Verlass
Dass Theorie und Praxis zweierlei Stiefel sind, ist nichts Neues. Im Unterschied zur organisierten Kriminalität der Justiz* arbeiten im Nudging Theorie und Praxis jedoch Hand in Hand. Die Sache ist dabei schlicht die: Vom Nudging fühlt sich das impulsive System angesprochen, das anders als das reflexive System nicht der Abwägung bedarf und von daher dementsprechend schnell arbeitet. In anderen Worten schaltet der Mensch unbewusst auf Autopilot, sobald er ins Nudging eingebunden ist.
• Weniger ist mehr
In der Kürze liegt bekanntlich die Würze. Diese Binsenweisheit bestätigte einmal mehr jene Feldstudie 2020, die gut 50.000 Amerikaner mit einer SMS via Handy zur Grippeimpfung köderte. Beschränkte sich die Einladung auf die simple Information, dass ein Impftermin für den Teilnehmer reserviert sei, stieg die Impfrate um 5 Prozent, sofern die SMS zweimal verschickt wurde. Einen vergleichbaren Erfolg landete ein kalifornisches Gesundheitszentrum mit dem Nudging für Corona, indem es 100.000 Landsleute zur Impfung einlud.
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• Aufklärung schadet nicht
Aus den Studien zum Nudging für Ernährung des niederländischen Teams um Sozialpsychologin Denise de Ridder erhellt, dass Nudges ihren Einfluss mitnichten verwirken, wenn sie offensichtlich sind. An drei Snack-Shops testete das Team 2016 den Verkauf von gesunden Lebensmitteln im Einzugsbereich der Kassen. Rückten an die Stelle der üblichen Kalorienbomben die gesunden Produkte, verkauften sich diese deutlich besser. Und zwar ohne Unterschied, ob der Verkäufer explizit auf sein Ansinnen eines Aufrufs zur gesunden Ernährung hinwies oder nicht.
• Klare Botschaften zählen
Dass die Corona-Krise Leute auf Abstand hält, ist nichts Neues. Interessant ist allerdings, dass sich der Sicherheitsabstand von 1,5 Metern in den Warteschlangen an den Kassen um ein Bedeutendes besser einhalten lässt, wenn die Leute mit Hinweisschildern und Fußabdrücken am Boden auf Distanz gehalten werden. Wahrte bei bloßen Linien am Boden nur gut ein Drittel der Kunden den Abstand, hatte das Nudging mit Hinweisschild und Fußabdruck eine Erfolgsquote von 63 Prozent.
Für und Wider der Kritik
• Gesundheitsbewusstsein durch Bildung
Risikomündigkeit nennt sich in Fachkreisen das, was gemeinhin als Schulung der Verbraucher bezeichnet wird. Wem beizeiten, also bereits in der Schule das richtige Konsumverhalten eingeimpft wird, kann das Nudging naturgemäß gestohlen bleiben.
• Scham und Stigmatisierung
Selbstredend wünscht sich jeder die respektvolle Begegnung*. Ebendiese bleibe aber, so die Kritik, auf der Strecke, wenn Raucher etwa in Raucherzonen verbannt würden.
• Mythos der Bevormundung und Infantilisierung
Niemand bestreitet, dass die staatliche Bevormundung ein Albtraum* ohnegleichen ist. Von einer solchen ist das Nudging allerdings meilenweit entfernt. Zum einen arbeiten alle Ladenbesitzer – und Lebensmittelhändler zumal – seit alters mit einer gezielten Beeinflussung der Kunden durch angemessene Platzierung der Produkte. Und solange sich am gewöhnlichen Geschäftsgebaren niemand stößt, verbietet sich auch der Vergleich von Nudging mit Manipulation. Zum anderen kennen Nudges eine natürliche Grenze. So lassen sich nachweislich mit Nudges lediglich Grundüberzeugungen verstärken. Eine komplette Veränderung des Konsumentenverhaltens ist indes mitnichten drin. Wer also noch unentschlossen ist, vermag mit einer telefonischen SMS-Kampagne durchaus zur Corona-Impfung zu bewegen sein. Ist die Corona-Impfung hingegen von vornherein für jemanden tabu, wird auch kein wie auch immer gearteter Stupser zum Marsch ins Impfzentrum führen. Nicht minder aus der Luft gegriffen ist der Vorwurf der Infantilisierung. So entbehrt die Behauptung, dass Nudging zu unbedachtem Handeln führe, jeder Grundlage. Vielmehr steht zu vermuten, dass der Konsument fortan klüger entscheiden dürfte. Immerhin hat er für die wirklich wichtigen Entscheidungen das Gehirn frei, nachdem ebendieses durch die diskreten staatlichen Entscheidungshilfen entlastet ist.
* Unbezahlter Weblink (Eigenwerbung)
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