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  • Collin Coel

Binge-Watching: Der Serienmarathon rächt sich

Aktualisiert: 25. Sept. 2022

Zahlen lügen nicht. Im Schnitt sehen Binge-Watcher 2 bis 5 Folgen einer Serie am Stück. 20 Prozent der Befragten bringen es allerdings auf 6 bis 20 Folgen. Ja, der augenblickliche Weltrekord im Binge-Watching liegt bei sagenhaften 95 Stunden, die ein Serienjunkie vor dem Bildschirm zubrachte. Das Erschreckende daran: In jenen 73 Prozent der Haushalte, die über ein Streaming-Angebot wie Netflix gebieten, laborieren 8 von 10 Kindern am Komaglotzen. Nachdem ein Ende fesselnder Serien nicht in Sicht ist, steht zu befürchten, dass sich Binge-Watching nächstens als Krankheit zur Onlinespielsucht gesellt.


Hübsche Dame mit Schirmmütze vor Bildschirm mit Werbung für Netflix, YouTube & Co

Quelle: Riki32 auf Pixabay


2015 zum Wort des Jahres ernannt


Mit Streaming-Diensten wie Netflix und Amazon Prime sind die Zeiten endgültig vorbei, da sich Serienjunkies eine Woche oder länger gedulden mussten, um sich an der Fortsetzung der Handlung ergötzen zu können. Wenn faktisch alle Folgen einer Serie sofort auf Abruf verfügbar sind, ist es nicht weiter verwunderlich, dass mehrere Folgen am Stück konsumiert werden. Dieser Serienmarathon, Binge-Watching genannt, hat sich regelrecht zum Hype gemausert. Nicht von ungefähr hat 2015 das Collins English Dictionary Binge-Watching zum Wort des Jahres erklärt.


Binge bedeutet »Exzess«. Naturgemäß steht damit Binge-Watching für exzessives Schauen. Es indiziert das Ende des klassischen linearen Fernsehens mit definierten Sendezeiten* und räumt mit Wartezeiten, Unterbrechungen und Werbepausen auf. Nicht länger sorgt der Cliffhanger am Ende einer Folge für großes Rätselraten. Wer die Antwort auf die offene Frage umgehend haben will, entscheidet sich für einen Streaming-Dienst.


Komaglotzen als die neue Normalität


Dass im Binge-Watching Netflix die neue Normalität sieht, versteht sich von selbst. Es sind aber beileibe nicht nur Streaming-Dienste, die aus dem Komaglotzen Kapital schlagen. So hat sich etwa RTL 2 bei der Ausstrahlung der Serien »Game of Thrones« (GoT) und »The Walking Dead« (TWD) für einen Serienmarathon entschieden, der es dem Zuseher erlaubte, sich mehrere Folgen am Abend mehrmals die Woche reinzuziehen. Als klassischer TV-Sender auf den Zug aufzuspringen und mit dem Serienmarathon zu kokettieren empfiehlt sich allein schon deshalb, weil sich einer YouGov-Studie aus dem Jahr 2017 zufolge 63 Prozent der Fernsehzuschauer als Binge-Watcher bezeichnen. Ist bei diesen klassischen Fernsehzuschauern zusätzlich Pay-TV mit im Spiel, erhöht sich der Prozentsatz der Binge-Watcher gar auf 71, während sich ausschließliche Pay-TV-Abonnenten immerhin zu 69 Prozent für den Serienmarathon erwärmen.


Junger Mann vor Glotze

Quelle: mohamed-hassan auf Pixabay


Auch aus der Umfrage der Zeitschrift »TV Digital« 2020 erhellt, dass Binge-Watching zur Sucht verkommen ist und 80 Prozent der 14- bis 29-Jährigen den gleichzeitigen Zugriff auf alle Folgen einer Serie wünschen. Überhaupt ist es vornehmlich diese Altersgruppe, die auf On-Demand-Videos abonniert ist. Dementsprechend viele Binge-Watcher tummeln sich in der jungen Generation. Der Einstieg in die Sucht wird ihnen durch sehenswerte Serien wie »House of Cards« allemal erleichtert.


Streaming-Plattform als Zufluchtsort


Laut einer Studie des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) haben 7 von 10 Kindern das Bedürfnis, weiterzuschauen, weil die Streaming-Plattformen die nächste Folge automatisch starten. Dies ist umso bedauerlicher, als 70 Prozent der Kinder auf YouTube freien Zugriff haben und von ihren Eltern nicht zur Mäßigung ihres Konsums angehalten werden.


TV-Fernbedienung mit Netflix-Bildschirm im Hintergrund

Quelle: Tumisu auf Pixabay


Für Binge-Watching die Ursachen allerdings allein an der Unbedarftheit der Kinder oder der Manipulation der Plattformen* festzumachen greift unstreitig zu kurz. Immerhin liegt es nur in der Natur der Sache, bei einem Cliffhanger nicht auf einen späteren Zeitpunkt vertröstet werden zu wollen. 15 Sekunden räumen Netflix, Amazon Prime & Co den Nutzern ein, sich für oder wider die umgehende Fortsetzung der Geschichte zu entscheiden. Wenn für 76 Prozent der Binge-Watcher der Serienmarathon für eine Verdrängung der Alltagsprobleme* sorgt, ist es nur natürlich, dass es in Zeiten von Corona-Lockdowns regelrecht gar nicht genug Folgen am Stück geben kann.


Raubbau an der Gesundheit


Der Schein trügt. Zwar unterstellt eine Studie der University of Toledo 142 von 408 Binge-Watchern einen depressiven Charakter, Fakt ist nichtsdestotrotz, dass Personen mit depressiver Verstimmung verstärkt zu exzessivem Serien-Konsum neigen. Diese Erkenntnis der University of Texas darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Binge-Watching schädlich ist.


• Schlafstörung


Wer sich zum Binge-Watcher aufschwingt, läuft Gefahr, sich mit 98-prozentiger Wahrscheinlichkeit um den gesunden Schlaf zu bringen. Dies deshalb, weil das Gehirn nach einem intensiven Serienkonsum nicht einfach abschalten kann, sondern sich dem Fortgang der Geschichte widmet. 400 Probanden im Alter von 18 bis 25 Jahren, die im Schnitt 3 bis 4 Folgen einer Serie am Stück anschauen und von denen ein Fünftel mehrmals die Woche einen Serienmarathon startet, haben zu dieser unliebsamen Erkenntnis geführt.


• Bewegungsmangel


Nicht erst seit gestern haben Couch-Potatoes einen schlechten Ruf. Während die Arbeit am Schreibtisch als aktives Sitzen medizinisch vertretbar ist, geht der TV-Konsum mit inaktivem Sitzen einher. Und Letzteres führt bei entsprechender Intensität zu einem erhöhten Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko.


• Leistungsabfall


Regelmäßig machen sich Binge-Watcher nach dem Serienkonsum ein Gewissen aus ihrer maßlosen Zeitverschwendung. Bei Erwachsenen leidet die Arbeit unter dem Komaglotzen, bei Kindern brechen hingegen die schulischen Leistungen ein. Unzufriedenheit macht sich breit. Und um der allgemeinen Gereiztheit Herr zu werden, konsumieren die Betroffenen fortan noch mehr Folgen einer Serie am Stück. Ein Circulus vitiosus bricht sich Bahn*, gegen den scheint’s kein Kraut gewachsen ist.


Mit Vorbild und Technik wider die Sucht


Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. So abgedroschen diese Redensart auch klingt, an ihr ist unstreitig was dran. Ergo ist es an den Eltern, mit gutem Beispiel voranzugehen und nicht unentwegt vor der Glotze zu hocken.


Geschwister vor Bildschirm auf Strohballen in freier Natur

Quelle: Leuchtturm81 auf Pixabay


Speziell auf Streaming-Plattformen für Kinder wie Disney Plus oder YouTube Kids haben Eltern die Möglichkeit, Zeitlimits festzulegen. Obendrein ist es möglich, auf Netflix und YouTube die Autoplay-Funktion zu deaktivieren. Dieser einfache Kunstgriff könnte gleichermaßen Erwachsenen helfen, dem Binge-Watching wirksam zu begegnen. Sollte der Serienmarathon indes bloß Ausfluss der sozialen Isolation* sein, empfiehlt es sich, mit Netflix Party Freunde beim Filmkonsum zuzuschalten und sich mit ihnen über die Filmhandlung auszutauschen. Allein dadurch besteht weit weniger die Gefahr, einen weiteren Film anzureihen und als Binge-Watcher zu enden.


* Unbezahlter Weblink (Eigenwerbung)

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