Seit September drücken rund 1,2 Millionen österreichische Schüler wieder die Schulbank. Nicht wenigen von ihnen ist die unbeschwerte Kindheit und Jugend fremd. Hadern sie nicht mit Mathematik oder Deutsch, gibt der Ehrgeiz ihrer Eltern den Ton an. Dies dann, wenn Eislaufmütter oder Tennisväter vom Wunsch beseelt sind, aus den Kindern Superstars zu machen. Schiffbruch erleiden die ehrgeizigen Eltern dabei nicht zwingend mit ihren hochfliegenden Plänen, wo aber gehobelt wird, da fallen bekanntlich auch Späne.
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Die Förderhysterie greift um sich
Nicht erst seit gestern schleppen ehrgeizige Eltern ihren Nachwuchs von Casting zu Casting*. Aus gutem Grund werden die Eislaufmütter im englischen Sprachraum als Bühnenmütter (stage mothers) bezeichnet.
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Mit dem Tanz- und Turnunterricht à la Britney Spears ist es neuerdings jedoch scheints nicht getan. Vielmehr müssen die Kinder zwei- oder mehrsprachig aufwachsen und haben mit drei Jahren den Geigenunterricht am Hals. Ob sich dabei die Entwicklungspsychologie gegen dieses Unterfangen sperrt, schert die Eltern nicht. Fakt ist gleichwohl, wie Hirnforscher Gerald Hüther nicht müde wird zu betonen, dass die Entwicklung des Menschen nach Geborgenheit, Schutz und Sicherheit schreit und ohne konstruktive Auseinandersetzung mit dem Umfeld* zwangsläufig auf der Strecke bleibt. Ausschließlich dann macht nämlich das Bindungshormon Oxytocin von sich reden, das sich in einem allgemeinen Wohlbefinden ebenso bekundet wie in einer erhöhten Leistungsbereitschaft. Ergo vermag Hüther der zur Stunde grassierenden Fördermanie herzlich wenig abzugewinnen.
An sich kann man es den Eltern nicht verübeln, wenn sie für ihre Kinder nur das Beste wollen. In diesem Betreff unterscheidet sich der Ehrgeiz nicht von der Bescheidenheit. Problematisch wird hingegen die Koketterie von Eislaufmüttern und Tennisvätern mit einer glanzvollen Karriere ihres Nachwuchses namentlich dann, wenn das Kind für ein Spears-Leben nichts übrighat und um ein Bedeutendes lieber mit Freunden abhängen würde, als jede Minute einer ungewissen Zukunft im Glanzlicht der Öffentlichkeit zu opfern.
Krankhafter Ehrgeiz zwischen Normalität und Wahnsinn
Mitnichten ist stets ein dysfunktionaler Perfektionismus der Kinder mit im Spiel, wenn mit Emphase am Aufbau einer Spitzenkarriere* eines Familienmitglieds gearbeitet wird. Immerhin orientiert sich der Nachwuchs seit alters in der Berufswahl an den Eltern. Und wenn ebendie als Tennislegenden in die Annalen eingegangen sind, wären die Kinder schön blöde, nicht von den optimalen Voraussetzungen für einen Aufstieg in den sportlichen Olymp zu profitieren.
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Selbst mit dem Einfluss der Eltern ist es speziell im Tennis kein Leichtes, zur Spitzenliga aufzuschließen*. Insofern ist auch die Familie Korda die Ausnahme und nicht die Regel. Nichtsdestotrotz hat es den Anschein, als würden sich Petr und Sebastian Korda zum erfolgreichsten Vater-Sohn-Gespann des Tenniszirkus mausern. Während Vater Petr 1998 die Australian Open gewann und sich nur wenig später Platz zwei im ATP-Ranking sicherte, machte Sohn Sebastian mit dem Junioren-Titel bei den Australian Open exakt 20 Jahre nach dem Melbourne-Triumph des Vaters von sich reden.
Mütter eignen sich nicht weniger, ihren Söhnen den Weg in die Top-Ten der Tenniswelt zu ebnen. Zumindest zeugt davon Julia Postoli, die als ehemalige Aktive der WTA-Tour wenigstens so viel in die Karriere ihres Sohnes Stefanos Tsitsipas einzubringen vermochte wie Vater Apostolos, der Tennis-Trainer für Otto Normalverbraucher. 2019 verwies Stefanos beim ATP World Tour Finale in London die Konkurrenz auf die Plätze.
Nicht immer ist also, wie Figura zeigt, der Ehrgeiz der Eltern zu verteufeln. Weit gefehlt aber, zu glauben, dass sich die Wünsche des Nachwuchses zwangsläufig mit den Wünschen der Eltern decken. Wenn mithin der Sohnemann mit dem Tennis so überhaupt nichts am Hut hat, sollte auch eine Julia Postoli oder ein Petr Korda die Hoffnungen begraben und sich ins Unabänderliche fügen. Immerhin kann ebenso ein Akademiker anständig Geld scheffeln, selbst wenn ihm für gewöhnlich das Blitzlichtgewitter samt Klatschpresse fremd bleibt.
Mit der Überbelastung zum vorzeitigen Karriereende
Beileibe nicht alle Welt teilt die Ansicht, dass sich übertriebener Ehrgeiz rächt. So bezweifelt John McEnroe ernsthaft, dass Andre Agassi und Monica Seles ohne die tatkräftige Unterstützung ihrer Väter jene Triumphe feiern hätten können, für die sie in aller Munde sind. Dieser Umstand darf dennoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Nachwuchsgrößen des Sports mitunter empfindliche Entbehrungen und Schmerzen* leiden. Über die Schattenseiten des Sports berichtet die Presse halt nur ungern. Hinzu kommt, dass Frauen Berichten zufolge um ein Bedeutendes stärker mit den gewalttätigen Eskapaden ihrer Tennisväter zu kämpfen haben als Männer. Zumindest ist die kanadische Ex-Tennisgröße Sonya Jeyaseelan felsenfest davon überzeugt.
Quelle: TOI Sports auf Twitter
Was es wirklich heißt, die Hölle auf Erden zu haben, erhellt aus der Geschichte von Jelena Dokic. Über das gespannte Verhältnis zu ihrem Vater Damir ist selbst die nichtige Klatschpresse bestens im Bilde. Immerhin hat es von Misshandlung über Knast und Emigration bis hin zur Versöhnung so gut wie alles zu bieten, wonach der Boulevardjournalismus lechzt. Das Bedauerliche dabei: Während Jelena Dokic 1999 als 15-Jährige noch in Wimbledon die Weltranglisten-Erste Martina Hingis in der ersten Runde ausschaltete, ging es mit ihr nach der Trennung von ihrem Vater 2003 steil bergab. Mehr als 20 Kilogramm legte sie zu und fand – von ein paar Triumphen abgesehen - nie wieder zum alten Leistungshoch zurück.
Spätestens damit ist klar, dass an eine Spitzenkarriere, egal ob im Sport oder in der Kunst, nicht zu denken ist, wenn das Umfeld nicht passt*. Mit einem Damir Dokic, der am Spiel der Tochter kein gutes Haar lässt, sich auf Schiedsrichter stürzt und Journalisten vermöbelt, ist keinem Nachwuchstalent gedient.
Es heißt, dass gut 7 von 10 Hobbys bei Kindern für Begeisterungsstürme sorgen. Doch das anfängliche Interesse verblasst nicht selten bereits nach 2 bis 3 Monaten. Mal ist es die Tanzlehrerin, die ungebührlich meckert, mal die eigene Erkenntnis, dass es um das Talent zur Musikkarriere zu schlecht bestellt ist. Sollte das der Fall sein, sind Eltern gut beraten, der Qual umgehend ein Ende zu setzen und ihr Kind vom Tanz- respektive Musikunterricht abzuziehen.
Entschieden allen Zwang ablegen
Die Schulpädagogik redet gern dem gesunden Ehrgeiz* das Wort. Wer einem Kind von vornherein mit einer negativen Erwartungshaltung begegnet, darf sich nicht wundern, wenn ebendieses endlich auf der ganzen Linie versagt. Von jeher hat das Lernen schließlich bloß mit positiver Bestätigung funktioniert. Gleichzeitig dürfen sich Eltern aber nicht versucht fühlen, ihren Sprössling selbst für die unbedeutendste Errungenschaft überschwänglich zu loben. Damit verspielt das Kind nämlich die entscheidende Chance, je ein Gespür für die eigenen Stärken und Schwächen zu bekommen. Und solange es sich nicht selbst über die persönlichen Bedürfnisse und Neigungen im Klaren ist, ist es eher geneigt, den Wünschen und Vorstellungen der Eltern ohne Widerworte zu willfahren. Kurzum: Das Kind setzt sich selbst unter Druck, den sportlichen oder künstlerischen Auflagen zu genügen. Um ein Bedeutendes besser ist ihm hingegen gedient, wenn die Eltern bloß die Rahmenbedingungen abstecken*, innerhalb derer es sich nach Belieben austoben darf.
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