Erst nur ein Dating-Spleen der Generation Z auf TikTok, nun auch ein Karrierebooster selbstunsicherer Frauen: Delulu kann sich sehen lassen. Nicht alles ist allerdings Gold, was glänzt. Delulu ist ein zweischneidiges Schwert.
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Mit dem Strom schwimmen
Auch wenn delulu allerorts als der neueste Schrei gehandelt wird, kursierte der Modebegriff bereits vor gut eineinhalb Jahrzehnten in der einschlägigen Musikszene. So galten alle fanatischen Anhänger koreanischer Popstars als delulu, falls sie eine ernsthafte Beziehung mit einer dieser Zelebritäten für eine realistische Option hielten. Auf dem Radar hat dieses Kunstwort nichtsdestotrotz alle Welt erst seit gut einem Jahr. Delulu und TikTok bilden ein unzertrennliches Paar. Viral ging das Delulu-Fieber allein durch die App.
Delulu, abgeleitet vom englischen Adjektiv »delusional«, bezeichnet schlicht und einfach eine Denke, mit der Otto Normalverbraucher eine Wahnvorstellung, Besessenheit oder schiere Illusion assoziiert. Wer sich sohin ihr verschreibt, hat mit der Realität nichts am Hut, sondern flüchtet in die Traumwelt einer perfekten Beziehung* oder Karriere. Niemand kann es der Generation Z verdenken, wenn sie sich in Zeiten allgemeiner Unsicherheit vom Glauben an eine bessere Zukunft ohne Kriege, Krisen und Umweltkatastrophen leiten lässt.
Blick durch die rosarote Brille
Es überrascht nicht weiter, dass Aufstieg und Fall eines Modebegriffs den Social Media geschuldet sind. So versucht jede Generation seit alters, durch eine eigene Diktion der Welt ihren Stempel aufzudrücken, um als unverwechselbar in die Annalen einzugehen.
Wenn laut einer Bumble-Studie 73 Prozent der Generation Z die Liebe verklären, messen die Baujahre 1995 bis 2010 delulu eine Bedeutung bei, die bei älteren Semestern weitgehend auf Unverständnis stößt. Ebendie sind schließlich noch in den Hafen der Ehe eingelaufen, weil sie sich nicht hoffnungslos in unrealistische Vorstellungen verrannt haben. War es keine Liebesheirat, dann allemal eine Zweckgemeinschaft*. Und beide Formen des Ehebunds zeugen von einer Haltung, die besagt: Delulu im Dating ist tabu. Schon gar nicht taugt delulu zur Beziehung.
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Die Crux dabei ist, dass selbstredend auch eine Liebesheirat oder Zweckgemeinschaft endlich in eine Delusionship, sprich eine eingebildete Beziehung, münden kann. Niemand vermag mit Gewissheit eheliche Zerwürfnisse von vornherein auszuschließen. So bringt die Liebe nicht die Brötchen auf den Tisch. Und wer meint, dass Geld allein glücklich machen würde, befindet sich unstreitig auf dem Holzweg. Insofern ist es nicht einmal verkehrt, in die Fußstapfen der Generation Z zu treten und einer Illusion nachzujagen. Endlich bleibt die Realität ja so und so auf der Strecke. Wenigstens bis zu einem gewissen Grad.
Dem Impostor-Syndrom die Stirn bieten
Während nun der neue TikTok-Trend in der Beziehung mehr Fragen aufwirft, als Antworten zu liefern, ist es im Berufsleben durchaus ratsam, ein wenig delulu zu sein. Gemeint ist damit freilich nicht die Koketterie mit Selbstbetrug und Selbstüberschätzung. Vielmehr befeuert delulu die Karriere, wenn mit dem Impostor-Syndrom Schluss ist und massive Selbstzweifel der Vergangenheit angehören.
Die Sache ist schlicht die: Wer am Impostor-Syndrom – auch Hochstapler-Syndrom genannt – laboriert, empfindet sich als Mogelpackung und verkennt seine Fähigkeiten und Talente. Folglich stellt er unablässig sein Licht unter den Scheffel, statt mit geschwellter Brust auf seine Leistungen zu verweisen. Unweigerlich bringt sich dadurch ein Mitarbeiter um seinen beruflichen Aufstieg. Denn: In einem heiß umkämpften Arbeitsmarkt ist es unabdingbar, sich so teuer wie möglich zu verkaufen.
Ungeachtet der Tatsache, dass Männer mit ihrem notorischen Hang zur Selbstüberschätzung ihre Leistungen gut 30 Prozent zu hoch bewerten, sind vom Impostor-Syndrom Männer gleichermaßen wie Frauen betroffen*. Überhaupt macht laut einschlägigen Studien rund 70 Prozent der Bevölkerung ein leichter Minderwertigkeitskomplex zu schaffen, der ihnen im knallharten Arbeitsmarkt entschieden zum Nachteil gereicht.
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Insbesondere Frauen tun gut daran, mit ihren Selbstzweifeln ein für alle Mal aufzuräumen, um sich in der dominanten Männerwelt behaupten zu können. Delulu im Job zu sein bedeutet mithin für Frauen, sich nicht länger durch Hepeating ausbooten zu lassen. Devise: Eine Frau, eine Idee, eine Beförderung. Ein Mann hat nämlich auch fürderhin keine Skrupel, die Idee einer Frau aufzugreifen und als seine zu verkaufen, wenn er dadurch schnurstracks die Treppe hinauffällt. Das Kofferwort aus »he« und »repeating« muss aus den Köpfen der Personalchefs verschwinden, um einem Unternehmen wirklich gleichberechtigte Aufstiegschancen attestieren zu können. Oder um es im Delulu-Jargon zu sagen: Alles ist möglich, wenn es mit dem Selbstbewusstsein und der Motivation der Mitarbeiter zum Besten steht.
Bauchlandung nicht ausgeschlossen
Auch wenn der Glaube bekanntlich Berge versetzt, ist eine fatale Bruchlandung dennoch jederzeit denkbar. Selbst oder gerade im Delulu-Fieber.
Weit gefehlt, zu glauben, mit den unliebsamen Schwächen des Lebenspartners auf Dauer zurande kommen zu können. In der Phase der Verliebtheit mag die physische Attraktivität zwar vieles verzeihen, nolens volens holt noch jeden Menschen aber das Leben unter einem Dach auf den Boden der Tatsachen zurück. Heißt im Klartext: Mit nervigen Unzulänglichkeiten ist nicht gut Kirschen essen. Sie bringen noch jedes Paar über kurz oder lang zu Fall.
Um ein Bedeutendes schneller als in der Beziehung scheitert die Delulu-Denke allerdings in der Arbeitswelt, falls die Karriere jeder Grundlage entbehrt. Niemand stellt dabei in Abrede, dass in Österreich das Parteibuch zu Fehlbesetzungen* sonder Zahl führt und die Begünstigten dennoch nicht vorzeitig das Feld räumen müssen. Ein Topmanagement, das von Tuten und Blasen keine Ahnung hat, rächt sich allerdings früher oder später. Zum einen bricht mit der Inkompetenz an der Unternehmensspitze Knall auf Fall die generelle Arbeitsmoral der Mitarbeiter ein. Zum anderen führt die strategische Zurückhaltung à la longue zum bösen Erwachen, wenn die Wettbewerbsfähigkeit auf der Strecke bleibt, die Umsätze rapide einbrechen und ein massiver Stellenabbau unumgänglich ist. Fazit: Solange die Delulu-Denke mit der Selbstunsicherheit aufräumt und nicht zum Selbstbetrug verkommt, ist alles im Lot, braucht sich kein Mitarbeiter einen Kopf um seine berufliche Zukunft zu machen.
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