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  • Collin Coel

Urlaub einmal anders: Wirtschaftsfaktor Pilgern

Aktualisiert: 25. Sept. 2022

Der Schein trügt. Zwar kommt einer Umfrage im August 2021 zufolge für rund 77 Prozent der Deutschen eine Pilgerreise nicht in die Tüte, der spanische Jakobsweg erfreute sich aber 2019 gezählter 26.167 deutscher Pilger. Damit ist Deutschland weiterhin das Land mit dem drittgrößten Pilgeranteil in Spanien. In der Tat haben sich auch 3 Prozent der Deutschen bereits mehrfach auf eine Pilgerreise begeben. Weltweit sind es jährlich 300 bis 330 Millionen Menschen, die sich an Pilgerorte verfügen und dort für Umsätze von über 18 Milliarden Euro sorgen. Allein Italien verzeichnet Jahr für Jahr 5,6 Millionen religiöse Touristen, die im Schnitt pro Tag 51 Euro ausgeben. Pilgern ohne religiösen Hintergrund ist dabei der letzte Schrei, wie Frankreich zeigt. Bei sich Einkehr zu halten und auf spirituelle Sinnsuche zu gehen ist nicht erst seit gestern en vogue. Und wenn sich die Atheisten und Agnostiker vom Interesse am Kulturerbe leiten lassen, hat die Wirtschaft unter Garantie auch nichts dagegen einzuwenden.


Pilger auf Jakobsweg in Spanien (Camino de Santiago)

Quelle: xtberlin auf Pixabay


Kumbh Mela – Pilgermagnet der Superlative


Das Hindu-Fest zählt zum immateriellen Kulturerbe der Menschheit und lockte 2019 rund 120 Millionen Gläubige an, die sich durch ein Bad im Ganges die Befreiung aus dem Teufelskreis der Wiedergeburten* versprechen. Nicht von ungefähr sind Prayagraj, Haridwar, Ujjain und Nashik die Austragungsorte dieser religiösen Megaveranstaltung. So besagt die Legende, dass die Götter und Dämonen im Streit um den Nektar der Unsterblichkeit (Amrit) vier Tropfen verschütteten, die an besagten heiligen Orten landeten. Nachdem sich der kostbare Trank in einem Kumbh, sprich einem Krug, befand, nennt sich das Reinigungsritual der Hindus »Das Fest des Kruges« oder eben »Kumbh Mela«.


Kumbh Mela in Indien

Quelle: Trapuzarra auf Pixabay


Regelmäßig stellt dieses Megafest die indische Regierung vor große logistische Herausforderungen. 2019 wurde für mehr als 120.000 mobile Toiletten, 20.000 Mülltonnen und 20.000 Sanitäter gesorgt. Zudem flossen 35 Millionen Euro in die Klärung der Abwässerkanäle des Ganges. Des ungeachtet ist und bleibt der Ganges eine Ansammlung von Abwässern der Haushalte, von giftigen Chemikalien der Fabriken sowie von Bauschutt und Abfall. Nicht genug damit. Zur Farce werden diese Gesundheitsvorkehrungen namentlich dann, wenn das Hindu-Fest keine Corona-Auflagen kennt, wie das 2021 der Fall war. Der begründeten Angst von Pilgern vor dem Virus sei, so Regierungschef Tirath Singh Rawat, mit einer gesunden Portion Gottvertrauen leicht beizukommen. In der Tat gab es denn auch in Haridwar im Bundesstaat Uttarakhand weder die Abstandsregel noch die Maskenpflicht. Fazit: Von 50.000 Tests in zwei Tagen fielen 1002 positiv aus.


Mount Kailash – Pilgern nicht leicht gemacht


Die Gefahren lauern überall. Macht den Pilgern in Tibet nicht die Höhe von 4600 bis 5700 Metern zu schaffen, dräut Unheil auf den 53 Kilometern der Pilgerroute durch Geröllfelder, vereiste Stellen, tiefe Schluchten, steile Anstiege, Neuschnee oder Wetterstürze. Hindus und Anhänger der Bön- und Jain-Religion verehren den 6714 Meter hohen Mount Kailash in Tibet ebenso wie Buddhisten. Das Betreten des Gipfels gilt allerdings als religiöses Tabu. Angesagt ist vielmehr die Umrundung des heiligen Berges, die so genannte Kora. Eine Umrundung verspricht die Erlösung von allen Sünden dieses Lebens, während zwölf Umrundungen auch mit den Sünden aus früheren Leben aufräumen. Und wer 108 Umrundungen oder umgerechnet rund 5724 Kilometer schafft, ist reif für das Nirwana, das buddhistische Paradies*. Wirft sich der Pilger zudem, wie es für tiefgläubige Tibeter Usus ist, 20.000-mal bei jeder Kora zu Boden, ist leicht einzusehen, warum die Kailash-Umrundung als körperliche Herausforderung verschrien ist.


Mount Kailash in Tibet

Quelle: ynwangjing auf Pixabay


Des ungeachtet kommen Jahr für Jahr 25.000 Pilger nach Darchen. Das Dorf in 4650 Meter Höhe, der Ausgangspunkt des Kailash-Abenteuers, ist schwer zu erreichen. Erst bedarf es eines Flugzeugs, um von Kathmandu in Nepal nach Lhasa in Tibet zu gelangen. Sodann folgen 1200 Kilometer Fahrt in einem Geländewagen auf Schotterwegen über 5000er Pässe. Darchen selbst hat dabei wenig zu bieten. Für mehr als eine chinesische Kaserne und ein Schafmarkt ist der Ort nicht gut. Niemand erwartet aber auch ernsthaft in Tibet, dass das Pilgern von heute zwingend dem Besuch des Grabs von Elvis Presley gleicht.


Camino de Santiago – Faszination mit langjähriger Tradition


Die Corona-Krise hat dem Jakobsweg massiv zugesetzt. Nur 54.143 Menschen machten sich 2020 auf den Weg zum angeblichen Grab des Apostels Jakobus in Santiago de Compostela. 2019 waren es noch unglaubliche 347.578 Pilger, die der religiösen Versuchung erlagen und die Kassen Spaniens füllten. So macht jeder Pilger für Unterkunft, Verpflegung und kleine Extras 35 Euro täglich locker. Zu den offiziell beurkundeten Pilgern gesellen sich allerdings in Santiago de Compostela etliche Millionen Besucher aus aller Welt. Gleich 2018 lag auch 2019 der Frauenanteil mit 51 Prozent etwas höher als der Männeranteil.


Kathedrale von Santiago de Compostela

Quelle: gustavoboulhosa auf Pixabay


Nach wie vor erfreut sich der Camino Francés, der klassische Jakobsweg, mit 55 Prozent Zustimmung der größten Beliebtheit. Seine 800 Kilometer führen den Pilger quer durch den Norden Spaniens von den Pyrenäen nach Santiago de Compostela. Nachdem nur noch jeder zweite Jakobspilger aus religiösen Beweggründen auf Achse* ist, muss der Jakobsweg wenigstens landschaftliche Reize bieten, um auch fortan punkten zu können. In der Tat vermag er auch durch seine drückenden Tieflandregionen, kargen Hochebenen und steilen Bergpässe mit entsprechender Abwechslung aufzuwarten. Nichtsdestotrotz stellt für die meisten Jakobspilger der Besuch der Kathedrale von Santiago de Compostela den Höhepunkt ihrer beschwerlichen Wanderung dar. Die Besucher stauen sich aus gutem Grund am Eingang der Kathedrale. Ein jeder schielt nach dem Arbol de Jesé. Einem Christen, der seine Hand auf den Lebensbaum Jesu legt, hüpft unweigerlich das Herz im Leibe. Der Handabdruck im Stein der Säule zeugt davon, dass Pilger seit mehr als 1000 Jahren ihr Interesse am Arbol de Jesé bekunden.


Hadsch – Pilgerfahrt für Minderheit in Corona-Zeiten


2019 zählte die Pilgerfahrt nach Mekka, der Hadsch, noch 2,5 Millionen Gläubige. 2021 glich die Kaaba, jenes würfelförmige Gebäude mit einem schwarzen Stein in der Stadt Mekka, regelrecht einem verwaisten Ort. Auf gerade mal 60.000 Muslime mit Wohnsitz in Saudi-Arabien beschränkte sich die Teilnehmerzahl. Samt und sonders waren sie, wie üblich, in Weiß gehüllt und sausten 7-mal gegen den Uhrzeigersinn um die Kaaba. Doch 2021 mussten sie Abstand halten, einen Mundschutz tragen und durften lediglich auf markierten Bahnen ihre Runden drehen. Ein Impfnachweis war obligatorisch. Auch galt eine Altersbeschränkung von 18 bis 65 Jahren. Damit kriegte der Hadsch 2021 bereits zum zweiten Mal die strengen Corona-Auflagen zu spüren.


Kaaba in Mekka

Quelle: Konevi auf Pixabay


Die eigentliche Pilgerfahrt folgt der Umrundung der Kaaba. Nach zwei Übernachtungen und dem Besuch etlicher heiliger Orte kehren die Pilger für gewöhnlich nach Mekka, dem Geburtsort des Propheten und Islamgründers Mohammed, zurück, um den Hadsch mit einer letzten Umrundung der Kaaba zu beschließen. Muslime, die sich am Ende der Pilgerfahrt Haare und Nägel schneiden, läuten mit dem Wegfall der Sünden ein neues Leben* ein. Zudem darf sich fortan jeder Gläubige Hadschi respektive jede Gläubige Hadscha nennen. Seinen Höhepunkt findet der Hadsch gleichwohl im Opferfest. Wer über genug Zaster verfügt, schlachtet eine Ziege oder ein Schaf und lässt das Fleisch Bedürftigen zukommen.


* Unbezahlter Weblink (Eigenwerbung)

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