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  • Collin Coel

Trinkgeld: Andere Länder, andere Sitten

Aktualisiert: 25. Sept. 2022

Einer im April 2019 veröffentlichten Studie des britischen Markt- und Meinungsforschungsinstituts YouGov zufolge sind 75 Prozent der Deutschen bereit, auf die 50 Euro des Restaurantbesuchs 2 bis 5 Euro Trinkgeld draufzusatteln. Bloß 3 Prozent der Befragten sperren sich gegen jedwede Form der Anerkennung trefflicher Dienstleistung. Dafür verstiegen sich 2008 bei einer Umfrage von TNS Emnid 4 Prozent der Befragten zur Behauptung, auch für schlechten Service das übliche Trinkgeld lockerzumachen. Die gute Absicht wird jedoch nicht allerorts gleichermaßen begrüßt. Wer mithin viel reist, sollte über die örtlichen Gepflogenheiten im Bilde sein, um nicht ins Fettnäpfchen zu treten.


Nahaufnahme der Übergabe von Trinkgeld in Restaurant

Das ungeschriebene Gesetz der Wertschätzung


Etikette mit Widersprüchen


Gemeinhin kommen Friseure, Kellner, Hotelbedienstete, Zusteller, Reiseleiter und Taxifahrer in den Genuss von Trinkgeldern. Allein aus dem flüchtigen Blick auf die Liste dieser Nutznießer erhellt sofort, dass es um die Logik der Etikette denkbar schlecht bestellt ist. Ja, de facto hat es gar den Anschein, als würde alle Welt Postbediensteten und Flugbegleitern den Respekt verweigern*, wenn sie nicht mit Pizzalieferanten und Kellnern in einer Reihe stehen. Und während nun bis dato noch keine Sterbensseele je erwogen hat, dem Postler die Paketzustellung mit einem Körberlgeld zu danken, werden Stewardessen immer wieder mal mit ein paar Extrakröten bedacht. Die Crux dabei ist allerdings, dass sie in der Regel von ihren Arbeitgebern dazu angehalten werden, diese wohlverdiente Zusatzvergütung an karitative Einrichtungen weiterzureichen.


Stewardess und Pilot am Flughafen

Quelle: wavebreakmedia_micro auf Freepik | Designed by Freepik


Kein Ersatz für Arbeitslohn


Wenn im Schnitt 10 Prozent des Rechnungsbetrags als Trinkgeld gezahlt werden, ist leicht einzusehen, dass sich manche Arbeitgeber bemüßigt fühlen, die Gehälter zu kürzen. In der Tat galt es noch Anfang des 20. Jahrhunderts nicht als Unsitte, das Einkommen von Arbeitnehmern im Gast- und Friseurgewerbe auf das Trinkgeld zu reduzieren. Die Zeiten, da sich niemand an unangemessener Vergütung der Arbeit* stieß, sind freilich dank Gewerbeordnung längst Schnee von gestern. So verbietet § 107 Abs. 3 Satz 1 GewO nachdrücklich die Reduktion des Arbeitsentgelts auf das Trinkgeld. Ja, de facto untersagt das Gewerberecht dadurch dem Arbeitgeber, jede Form von Rechnung aufzumachen und die Höhe des Arbeitsentgelts am Trinkgeld zu bemessen.


Steuerfrei unter bestimmten Voraussetzungen


Nicht zu verwechseln ist das Trinkgeld mit dem Bedienungsgeld. Während das Arbeitsrecht im Trinkgeld eine freiwillige Zuwendung des Kunden sieht und es von daher nach § 516 Abs. 1 BGB als Schenkung zu werten ist, hat der Bedienstete auf das umsatzabhängige Bedienungsgeld als Teil des Kaufpreises einen rechtlichen Anspruch. Ergo ist das Trinkgeld steuerfrei, wohingegen das Bedienungsgeld als reguläre arbeitsvertragliche Vergütung der Besteuerung unterliegt. Die Crux dabei ist, dass diese steuerrechtliche Regelung nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG nur für Arbeitnehmer gilt. Hält es sohin ein Kunde für geboten, einem Betriebschef oder Freiberufler ein paar Kröten als Zusatzvergütung zuzustecken, wird diese Würdigung der Leistung* nicht als steuerfreies Trinkgeld erachtet und unterliegt zur Gänze der Umsatz- und Einkommensteuerpflicht. Nachdem eine solche steuerrechtliche Handhabung jeder plausiblen Erklärung entbehrt, unterlassen in praxi Chefs gern die ordentliche Versteuerung ihrer Trinkgelder. Ratsam ist dieses Unterfangen namentlich nicht in Betrieben, die für ihre Trinkgelder weithin bekannt sind. Wenn demnach der Chef eines Friseursalons überhaupt kein Trinkgeld verbucht, werden die Betriebsprüfer hellhörig und folgt der Vorwurf der Steuerhinterziehung auf dem Fuße.


Friseur beim Haarschnitt eines Mannes

Quelle: senivpetro auf Freepik | Designed by Freepik


Alles über die internationalen Gepflogenheiten


Europa: Je südlicher das Land, desto höher das Trinkgeld


Wer für das Trinkgeld in Prozent ein Richtmaß wünscht, fährt in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Italien, Spanien und Frankreich mit den besagten 10 Prozent des Rechnungsbetrags recht gut. Ein »coperto« in Italien sollte den edlen Spender so wenig von seinem Ansinnen abhalten wie ein »service compris« in Frankreich. Dafür dürfen es in den österreichischen Kaffeehäusern schon mal 20 Prozent sein. Nachdem der Service in Skandinavien in Hotels und Restaurants inbegriffen ist, ist allenfalls ein Betrag von 5 Prozent als Zusatzvergütung angebracht.


Asien: Zwischen Ablehnung und Erwartung


Trinkgeld galt lange Zeit im gesamten asiatischen Raum als verpönt. Noch heute betrachten Japaner die redliche Bemühung als Selbstverständlichkeit*, weshalb sie jede zusätzliche Zuwendung als Affront empfinden. Ungleich lockerer handhaben die Sache die Türken. Ja, de facto wird in der Türkei vom Gast gar erwartet, dass er sich mit einem kleinen Bakschisch für geleistete Arbeit erkenntlich zeigt. 6 bis 10 Prozent des Rechnungsbetrags gelten in Restaurants als angemessenes Trinkgeld, Hotels schreien indes nach 3 bis 6 türkischen Lira pro Tag oder Bestellung. Und der Taxifahrer rechnet für gewöhnlich mit 6 türkischen Lira je Gepäckstück neben einem aufgerundeten Betrag. Gleich der Türkei hat auch Thailand mit der japanischen Mentalität nichts am Hut. In Restaurants gelten weniger als 10 Baht als Beleidigung, während das Zimmerpersonal der Hotels wenigstens 20 Baht erwartet. Dafür ist in China nach wie vor Vorsicht geboten. Im Reich der Mitte ist es ratsam, bloß in den Tourismuszentren die Spendierhosen anzuhaben. Im Unterschied dazu bekommt in Russland selbst der Tankwart fürs Auftanken 10 bis 30 Rubel. An sich ist aber das Teegeld, wie die Russen das Trinkgeld heißen, nur dann angezeigt, wenn der Service nachweislich okay war. 30 bis 50 Rubel pro Tag erwartet das Zimmerpersonal im Hotel, 10 Prozent dürfen es im Restaurant sein.


Koch in japanischem Restaurant

Quelle: binmassam auf Pixabay


Amerika: Zusatzeinnahmen unverzichtbar


Zumindest in Nordamerika sind die Trinkgelder aus dem Portemonnaie der Kellner nicht wegzudenken. 15 bis 20 Prozent sind selbst dann angezeigt, wenn ein Bedienzuschlag in der Rechnung inkludiert ist. Aufgrund der niedrigen Löhne trägt das Trinkgeld im Restaurant entscheidend zum Überleben der Kellner bei. Manchem Unkundigen mag es dabei sauer aufstoßen, dass regelrecht nach dem letzten Bissen die Rechnung bereits auf dem Tisch landet. Fürs gemütliche Beisammensein und den stundenlangen Schwatz sind jedoch seit alters die Bars vorgesehen. Ein bis zwei Dollar je Gepäckstück erwartet sich der Kofferträger, das Zimmermädchen denselben Betrag pro Nacht. Im Taxi hinwiederum sind 15 Prozent üblich.


Australien: Trinkgeld unüblich


In Neuseeland ist das Trinkgeld allemal üblicher als in Australien, ein Muss ist es aber dort wie da nicht. Wer dem Griff in die Geldbörse nicht widerstehen kann, ist in Australien mit den üblichen 10 Prozent der Rechnungssumme gut beraten.


Afrika: Türkische Usancen


In Ägypten, Marokko und Tunesien gilt, was in der Türkei Usus ist. Ein Bakschisch wird erwartet. 10 Prozent Trinkgeld sind im Restaurant Standard, während im Taxi lediglich großzügig aufgerundet wird. Und wenn sich das Zimmerpersonal der Hotels einer Zuwendung erfreut, wird der Gast beim nächsten Besuch unter Garantie besonders zuvorkommend behandelt.


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