Unterschiedlicher könnten die Ansichten kaum sein. Während die einen den genetischen Einfluss auf die Resilienz in Abrede stellen, wollen die anderen 99,5 Prozent der Bevölkerung die grundsätzliche Veranlagung zur Widerstandsfähigkeit attestieren. Fakt ist jedenfalls, dass kaum ein Leben geradlinig verläuft. Krisen sind faktisch so sicher wie das Amen in der Kirche. Wer an solchen Rückschlägen nicht zerbrechen will, tut gut daran, seine innere Stärke beizeiten zu schulen. Auf die Gene ist nämlich mitnichten Verlass.
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Immer den Kopf oben behalten: Über das Wesen der Resilienz
Es heißt, Arnold Schwarzenegger habe als Kind täglich vom Vater Prügel kassiert. Stephen Hawking hat sich hingegen bereits zur Studienzeit mit der Nervenkrankheit ALS herumschlagen müssen. Beiden Zelebritäten gemein ist, dass sie sich von ihrem Schicksal nicht unterkriegen haben lassen. Während sich Schwarzenegger bekanntlich zur Schauspielgröße gemausert hat, ging Hawking in die Annalen der Wissenschaft ein.
Der Volksmund würde die beiden Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wohl schlicht Stehaufmännchen heißen. Die Psychologie spricht bei hoher Belastbarkeit und ausgeprägter innerer Stärke* indes von Resilienz. Herzlich wenig zur Sache tut dabei der Umstand, dass der Begriff eigentlich in der Werkstoffkunde gebräuchlich ist. So sind flexible Materialien, denen äußere Einwirkungen nichts anhaben können und die nach einer kurzzeitigen Verformung wieder in den Ausgangszustand zurückkehren, als resilient geläufig.
Ähnliches gilt für die Resilienz der Psychologie. Für Depressionen ist bei resilienten Menschen kein Platz. Statt ihren Frust im Alkohol zu ertränken, stellen sie sich den unliebsamen Gegebenheiten und suchen nach Lösungen. Selbst wenn das bedeutet, ausgetretene Pfade verlassen und zu neuen Ufern aufbrechen zu müssen. Während also vulnerable Menschen augenblicklich den Kopf in den Sand stecken und in Selbstmitleid zerfließen, steht Schwarzenegger, Hawking & Co. der Sinn nach der Herausforderung. Fazit: Innert kürzester Zeit sind sie wieder die Alten, ja laufen sie regelrecht zur Hochform auf. Devise: Jetzt erst recht.
Der Mythos vom Stehaufmännchen: Achterbahn der Gefühle
Angesichts des Gedönses, das um Harry Potter gemacht wurde, könnte alle Welt versucht sein, zu glauben, dass ein jeder förmlich nach Resilienz schreit. Sicher, zugegeben, niemand bestreitet, dass Resilienz-Geschichten en vogue sind und die Kassen zum Klingeln bringen. Was für Erich Kästner Emil, ist für Charles Dickens Oliver Twist: ein widerstandsfähiger Held, der Generationen von Lesern in seinen Bann schlägt. Vergessen werden darf dabei aber nicht, dass es wahrlich kein Honiglecken ist, den Tod eines geliebten Menschen, eine schwere Krankheit oder einen schrecklichen Unfall zu verarbeiten.
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Häufig assoziiert Otto Normalverbraucher mit Resilienz das Synonym »Gelassenheit«. Auch von »Abhärtung« ist die Rede. Die Unverletzlichkeit geht allerdings weder mit der einen noch mit der anderen Assoziation einher. Ja, realiter wäre es gar grundverkehrt, wenn der resiliente Mensch herginge und sich mit Nachdruck der Abtötung seiner Gefühle verschreiben würde. Die ostentative Gleichgültigkeit* halten Psychologen nämlich für bedenklich. Und nicht nur sie. Wenn den Ukrainern nicht die Wellen der Sympathie entgegenschlagen würden, hätte vermutlich bereits jeder an der Front die Waffen gestreckt und sich ins Unabänderliche der russischen Annexion gefügt. Kurzum: Das Leid gehört zum Leben und von daher auch der Schmerz. Nur: Resiliente Menschen sehen sich im Stande, mit dem unveränderlichen Leid um ein Bedeutendes besser umzugehen als der zartbesaitete, vulnerable gemeine Mann.
7 Faktoren als Härtetest: Worin sich Resilienz bekundet
Nicht erst seit gestern interessiert sich die Wissenschaft für die Resilienz. De facto gab bereits in den 1950er-Jahren die US-Psychologin Emmy Werner mit einer 40 Jahre währenden Langzeitstudie den Startschuss. 686 Kinder der Insel Kauai begleitete sie ins Erwachsenenleben. Fazit: Allen Unkenrufen zum Trotz vermochte ein Drittel der Risikokinder ungeachtet der schwierigen Startbedingungen* auf ein erfülltes, zufriedenes Leben zurückblicken.
Die Resilienz dieser Kinder lieferte unter anderem Anhaltspunkte für jene 7 Kriterien, die zur Stunde gemeinhin zum Wesen eines resilienten Menschen gehören. Heißt im Umkehrschluss: Wenn sich die Resilienz in diesen 7 Säulen bekundet, können sie gleichsam als einfacher Test für den Grad der Resilienz herhalten. Devise: Je ausgeprägter die 7 Eigenschaften beim Einzelnen sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass ihm schwere Lebenskrisen nichts anhaben können.
Was macht also einen resilienten Menschen aus? Im Einzelnen zeichnen ihn die folgenden Charaktermerkmale aus:
• Selbstvertrauen: Resilienten Menschen ist die Opferrolle fremd. Solange sie atmen können, sehen sie den Silberstreifen am Horizont. Ja, ihr gesundes Selbstvertrauen wirkt regelrecht ansteckend. Auch ihr Umfeld schöpft mit einem Mal Vertrauen und lasst nichts unversucht, das Blatt zu wenden.
• Sozialkompetenz: Nicht ungefähr heißt es, dass Freundschaften das Leben erhalten. Wem das Wasser bis zum Hals steht, ist mit Miesepetern und Pessimisten schlecht gedient. Vielmehr bedarf es eines Umfelds, das einem Mut zuspricht und das Glas halb voll sieht.
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• Gelassenheit: Resiliente Menschen lassen sich von ihren Emotionen nicht in die Irre führen. Sie wissen nur allzu gut, dass die verfahrene Situation ihre volle Konzentration und Aufmerksamkeit verlangt. Allein dadurch ist es möglich, das Steuer herumzuwerfen.
• Optimismus: Ihre optimistische Grundhaltung verleitet resiliente Menschen nicht dazu, die Situation zu beschönigen. Vielmehr sehen sie den Tatsachen ins Auge. Eine Niederlage ist für sie nicht das Ende der Welt, sondern ein Aufruf, den nächsten Versuch in einen Erfolg zu verwandeln.
• Selbstbeherrschung: Der sogenannte Gratifikationsverzicht* ist wahrlich nicht nach jedermanns Geschmack. Auf die sofortige Belohnung zu verzichten, um gegebenenfalls später groß abzusahnen, verlangt neben der Selbstbeherrschung vor allen Dingen eine gehörige Portion Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten.
• Realismus: Insofern ist es nur verständlich, dass sich resiliente Menschen naturgemäß realistische Ziele stecken. Sie denken langfristig und nehmen gedanklich jeden Schritt vorweg.
• Lösungsorientierung: Resiliente Menschen stehen im Ruf, geniale Analytiker zu sein. Nachdem sie über die Ursachen ihrer Rückschläge im Bilde sind, vermögen sie, künftig wirksamer den Problemen zu begegnen und über den Perspektivwechsel zu besseren, alternativen Lösungen zu gelangen.
Gute Gene genügen nicht: Ausdauertraining gefragt
Wer die Resilienz einem Test unterzieht, ist gut beraten, das Gen 5-HTTLPR näher zu besehen. Macht es nicht in der kürzeren, sondern in der längeren Version von sich reden, vermag es für einen besseren An- und Abtransport des Glückshormons Serotonin im Gehirn zu sorgen und obendrein über ein Enzym wirksamer dem Stresshormon Nor-Adrenalin zu begegnen. Nachdem die Resilienz nicht unmaßgeblich Spiegel des Stress- und Glückspegels ist, können sich jene 99,5 Prozent der Bevölkerung glücklich schätzen, die über die lange 5-HTTLPR-Variante verfügen.
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Entscheidend für eine ausgeprägte Resilienz ist aber zudem ein gutes Nervenwachstum im Gehirn, wofür hochspezialisierte Proteine verantwortlich zeichnen. Ist es um ihre Produktion bestens bestellt, sorgt das plastischere Gehirn Berichten zufolge für eine flexiblere Denkweise. Und ebendie hilft, Schicksalsschläge besser zu verkraften.
Vermutlich steht aber nicht jedem der Sinn nach medizinischen Erklärungen und ist aller Welt mit praktischen Tipps für mehr Widerstandsfähigkeit weit besser gedient. Die Grundsteine für die Resilienz werden dabei bereits in der frühen Kindheit* gelegt. Es bedarf positiver Bezugspersonen, die ein Gefühl der Zuverlässigkeit und Sicherheit vermitteln. Endlich ist die Resilienz ein Muskel, der trainiert werden will. Ein gutes Training ist beispielsweise die Selbstreflexion. Sie zeigt einem auf, welche Herausforderungen im Leben bereits erfolgreich bewältigt wurden. Vielen Menschen hilft auch ein Tagebuch. So haben Studien der Pennsylvania State University gezeigt, dass bereits 10 Tage hinreichen, um sich seine Sorgen und Ängste buchstäblich von der Seele zu schreiben. Zwar wünscht sich niemand Niederlagen, regelmäßig sind sie aber zugleich auch Chancen. Wer die Herausforderung in seine Arme schließt und auf Lösungen aus ist, hängt gedanklich nicht länger den Schwierigkeiten und Problemen der Vergangenheit nach. Und sollte einem ein veritables soziales Netzwerk bei Bedarf den Rücken steifen, müsste es regelrecht schon mit dem Teufel zugehen, wenn der Pessimismus weiterhin den Ton angibt.
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