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Collin Coel

Negative Emissionen: Viel Lärm um nichts?

Aktualisiert: 29. Mai

Ungeachtet der Tatsache, dass ihr langfristiger Nutzen längst nicht restlos geklärt ist, stehen Negativemissionstechnologien, kurz NETs genannt, auf der To-do-Liste von Klimaschützern. Solange es nämlich um die Dekarbonisierung derart schlecht bestellt ist wie zur Stunde, werden künftige Generationen die gegenwärtigen Bemühungen um negative Emissionen zu schätzen wissen. In der Tat gibt es auch bereits etliche Pilotprojekte, die der Luft das unerwünschte Treibhausgas entziehen und es sicher endlagern. An einer Reduktion der Schadstoffemission führt dennoch kein Weg vorbei.


Pilotprojekt von Carbon Engineering in Squamish zur Kohlendioxidreduktion

Quelle: Resource Works auf Twitter


Negative Emissionen unstreitig vonnöten


Wem die Lebensqualität ein echtes Anliegen* ist, braucht niemand Feuer unter dem Arsch zu machen. Auch so ist er sich bewusst, dass Handlungsbedarf angezeigt ist, um das Pariser 1,5-Grad-Ziel nicht zu verfehlen. Konkret muss dem aktuellen Bericht des Weltklimarats IPCC zufolge die Atmosphäre bis 2100 um gut 100 bis 1000 Milliarden Tonnen CO2 erleichtert werden. Die Crux dabei ist, dass sich bereits zu viele Treibhausgase in der Atmosphäre tummeln, als dass der Pariser Auflage mit einer simplen Senkung des Ausstoßes Genüge getan wäre. Ohne Negativemissionstechnologien, die Milliarden Tonnen CO2 im Laufe der Jahre aus der Atmosphäre holen, wird das sogenannte CO2-Budget also erschöpft sein und sich der Mensch nolens volens in einer lebensfeindlichen Umgebung wiederfinden. Selbst gesetzt den Fall, dass die negativen Emissionen ab 2050 gang und gäbe sind, wären durch die bisherigen Versäumnisse in der Klimapolitik Jahr für Jahr 2 bis 20 Milliarden Tonnen Treibhausgas der Atmosphäre zu entziehen, um mit dem weltweiten Ausstoß von jährlich über 40 Milliarden Tonnen klarzukommen.


Negativemissionstechnologien in Hülle und Fülle

Waldaufforstung neben Holzverarbeitung


Abgesehen davon, dass die Aufforstung mit dem Erhalt der Artenvielfalt das Glück der Kinder und Kindeskinder* sichert, lassen sich mit ihr bis zu 3,6 Milliarden Tonnen Kohlendioxid jährlich binden. Zum einen geben die Bäume aber den gebundenen Kohlenstoff ab, sobald sie verenden oder Opfer von Waldbränden werden. Zum anderen ziehen für den Aufbau von Waldbeständen regelrecht Jahrzehnte ins Land. Deshalb ist es ratsamer, auf den Bau von Holzhäusern umzusatteln. Der 85,4 Meter hohe Mjøsa-Tower (Mjøstårnet) im norwegischen Brumunddal beweist, dass Holz der neue Beton ist. Gebäude solcher Art zeugen nicht nur von umweltbewusstem Bauen, sondern haben obendrein den Vorteil, dass sie das Kohlendioxid um ein Bedeutendes länger speichern.


Mjøstårnet, Hochhaus aus Holz in Brumunddal im Südosten Norwegens

Quelle: UK Construction Week auf Twitter


Eisen in Meeren fragwürdig


Wer gezielt in die Meere Eisen einbringt, darf mit einem verstärkten Algenwachstum rechnen. Und sterben die Algen erst einmal ab und sinken zu Boden, ziehen sie gleich für alle Zeiten eine Menge Kohlenstoff mit ins Grab. Diese mehrfach getestete Methode gilt in Fachkreisen als umstritten und stößt zudem durch die Londoner Konvention zur Verhütung der Meeresverschmutzung an rechtliche Grenzen.


BECCS-Prinzip in Decatur ein Hit


Der Name ist Programm. Das Akronym BECCS steht für Bioenergie mit CO2-Abscheidung und -Speicherung. In Decatur im US-Bundesstaat Illinois ist die augenblicklich effektivste Anlage dieser Art zu finden. Sie vergärt Mais zu Ethanol. Das dabei frei werdende CO2 wird eingefangen und in ein unterirdisches Lager gepresst. Was der Mais also im Zuge seines Wachstums an Kohlendioxid tankt, verschwindet für alle Zeiten aus der Atmosphäre. Nur vorteilhaft ist das BECCS-Prinzip dennoch nicht. Zwar lassen sich damit jährlich bis zu 5 Milliarden Tonnen Kohlendioxid binden, die dafür nötigen Agrarflächen gehen aber auf Kosten der Nahrungsproduktion.


DACCS-Verfahren am Beispiel von Ocra


Mit Direct Air Carbon Capture and Storage, auch DACCS genannt, assoziiert alle Welt das Schweizer Unternehmen Climeworks und die kanadische Firma Carbon Engineering. Die zurzeit größte Direktluftabscheideanlage betreibt Climeworks mit Orca in Island. Sie weckt Erinnerungen an eine überdimensionale Klimaanlage und filtert mit ihrer Batterie von Ventilatoren Kohlendioxid aus der Umgebungsluft. Gebunden in Wasser wird das Treibhausgas endlich in 700 Metern Tiefe ins Basaltgestein gepumpt und damit dauerhaft der Atmosphäre entzogen. Was nach einer sauberen Lösung klingt, wird bislang lediglich im kleinen Rahmen betrieben. Im Vollbetrieb soll Orca im Stande sein, jährlich 4000 Tonnen CO2 zu entsorgen, was umgerechnet der Luftverschmutzung von 1000 Autos mit je 20.000 Kilometern auf dem Buckel entspricht. Der Haken an der Sache ist freilich, dass die Pumpen enorme Energiefresser sind und zusätzlich Wärmeenergie für die Entfernung des Gases aus den Filtern nötig ist.


Orca, die weltweit größte Direktluftabscheideanlage von Climeworks in Island

Bodenzusätze wie Biokohle oder Peridotit


An sich würde es vollauf genügen, wenn die Landwirte vermehrt auf den Anbau von Tiefwurzlern setzen würden, die für eine treffliche Kohlendioxidbindung bürgen. Bringen sie zusätzlich Kohle auf den Böden aus, dürfen sie mit höheren Ernteerträgen rechnen und leisten mit dieser sogenannten Biokohle im gleichen Atem einen Umweltbeitrag. An sich braucht es aber mitnichten die landwirtschaftliche Nutzfläche, um sich als CO2-Vernichter in Szene setzen zu können. Auch mit pulverisierten Mantelgesteinen à la Peridotit auf Böden jeglicher Art ist für chemische Verwitterung gesorgt. Die Gesteine binden das Kohlendioxid als festes Karbonat.


Probleme ohne Ende

Risiken durch politische Trägheit


Politiker, die in negativen Emissionen die Technologie der Zukunft sehen, sind gut beraten, die Dekarbonisierung fortan nicht auf die leichte Achsel zu nehmen. Ob sich mit BECCS und DACCS in absehbarer Zeit wirklich Triumphe feiern lassen, ist zur Stunde nämlich mehr als fraglich. So schätzen Experten, dass 2050 einige Hundert Millionen Tonnen Kohlendioxid entsorgt werden können. Allenfalls sind auch ein bis zwei Gigatonnen drin.


In Sachen Klimaschutz kann sich der Opportunismus von Politikern* gewaltig rächen. Schon jetzt ist Obacht geboten, nachdem Deutschland mit negativen Emissionen scheint’s nichts am Hut hat und mit den Früchten anderer Nationen rechnet. Nach einhelliger Meinung von Experten muss die Forschung intensiv vorangetrieben werden, damit negative Emissionen erschwinglich werden. Gleichzeitig sollten durch einen hohen CO2-Preis die Unternehmen zum Umdenken gezwungen werden. Wenn ebendie schon selbst kein Interesse an einem aktiven CO2-Abbau bekunden, wäre es angezeigt, sie zum Kauf von negativen Emissionen bei anderen Unternehmen zu verdonnern.


Chancen trotz technischer Fragezeichen


In Summe würden die geplanten NETs das Wohl künftiger Generationen* allemal garantieren. Die Crux ist bloß, dass sich negative Emissionen nicht einfach so addieren lassen. Einesteils gibt es veritable Zielkonflikte, andernteils fehlt für etliche Maßnahmen schlicht die Zeit zur Umsetzung. Hinzu kommt, dass die Bilanzierung negativer Emissionen Fragen aufwirft und den Handel mit Zertifikaten nicht unbedingt erleichtert. Dafür wird der unkonventionelle Klimaschutz unter Garantie nicht an der Speicherfrage scheitern.

CCS-Projekt von Equinox

Quelle: Stephen Bull auf Twitter


Schon seit zweieinhalb Jahrzehnten presst Norwegen Kohlendioxid in den Meeresboden der Nordsee. Schätzungen zufolge ist ebenda Platz für 200 Milliarden Tonnen CO2. Bloß am Monitoring hapert es. Falls wider Erwarten in den Meerestiefen gebundenes Treibhausgas austreten sollte, erfährt davon keine Sau. Gerade dieser Unsicherheitsfaktor bewog wohl viele deutsche Bundesländer auch, die unterirdische Speicherung von CO2 in ihren Breiten zu untersagen. An sich hätte Deutschland ja Platz für rund 10 Milliarden Tonnen Kohlendioxid. Gesetzt den Fall aber, es tritt in der Tat aus, dräut die Gefahr, dass das salzige Grundwasser der Tiefe mit einem Mal dem süßen Grundwasser nahe der Oberfläche das Feld streitig macht. Insofern hat ein Bundesland noch allen Grund, die Endlagerung von Treibhausgasen zu verweigern.


* Unbezahlter Weblink (Eigenwerbung)

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