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Collin Coel

Laborfleisch: Potenzial mit Fragezeichen

Aktualisiert: 29. Mai

2013 hat das niederländische Forscherteam um Mark Post von der Universität Maastricht mit dem ersten gezüchteten Burger-Patty eine neue Ära eingeläutet. Schätzungen der Unternehmensberatung A.T. Kearney zufolge werden 2040 nahezu 60 Prozent der Fleischprodukte pflanzen- oder zellbasiert sein. Angesichts eines weltweiten Marktpotenzials von 1,4 Billionen US-Dollar ist es nicht weiter verwunderlich, dass Start-ups Blut geleckt haben und mit dem Laborfleisch dicken Reibach machen wollen. Die Crux: Noch sind kultivierte Chicken Nuggets unerschwinglich.


Laborhände mit Fleisch in Petrischale

Quelle: Ebasone Vanes auf Twitter


Herstellung: Alles eine Frage der Stammzellen


Die Begriffsvielfalt ist durchaus für eine babylonische Sprachverwirrung gut. Von In-vitro-Fleisch, Clean Meat und Fleisch 2.0 ist ebenso die Rede wie von kultiviertem Fleisch oder synthetischem Fleisch. Dafür hat Laborfleisch für die Herstellung keine Optionen parat. Tissue Engineering nennt sich das Verfahren, nach dem das Laborfleisch schreit. Dabei wird Tieren Muskelgewebe entnommen, dem jene Stammzellen geschuldet sind, die im Bioreaktor mit einem Nährmedium angereichert werden. Nomen est omen. Heißt: In der Nährlösung bauen die Zellen Muskeln auf und verdichten sich über ein Trägergerüst vornehmlich aus tierischem Kollagen zu einer ansehnlichen Masse.


Die resultierenden ultradünnen Fleischschichten ähneln Hackfleisch. In einem Burger sind rund 20.000 Muskelzellen verarbeitet. Unverzichtbar sind dabei auf vergleichbare Weise gezüchtete Fettzellen. Ohne sie hätte das Muskelgewebe nämlich nichts vom natürlichen Geschmack konventionellen Fleisches. Ein Steak ist beim Tissue Engineering dennoch zur Stunde nicht drin. Dazu bedürfte es nämlich dreidimensionaler Gerüste, die den Muskelzellen das Ausfasern in alle Richtungen erlauben. Allerdings arbeiten Start-ups intensiv daran, mit 3D-Druckern für das erwünschte kultivierte Steak zu sorgen. Und sollte in absehbarer Zeit auch der Muskelaufbau eins zu eins im Labor möglich sein, gleicht die Textur des In-vitro-Fleisches jener des konventionellen Fleisches aufs Haar.


Laborhände mit einem Stück rohem Fleisch in Petrischale

Quelle: Clean Meat auf Twitter


Notwendigkeit: Fleischindustrie an der Kapazitätsgrenze


Von 1960 bis 2020 hat sich die weltweite Fleischproduktion mit einem Anstieg von 71 Millionen Tonnen auf 340 Millionen Tonnen nahezu verfünffacht. Ermöglicht hat diesen Produktionsschub der Umstieg von der artgerechten Tierhaltung auf die Intensivtierhaltung in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts. Ohne Nachfrage gäbe es freilich kein Angebot. Es hat ganz den Anschein, als ob der Deutsche mit der Empfehlung von einem jährlichen Pro-Kopf-Konsum von 22 Kilogramm Fleisch so wenig am Hut hat wie die Australier und Amerikaner. Wobei: Gemessen an seinen 60 Kilogramm kommt der Deutsche im internationalen Vergleich noch gut weg. Immerhin verputzen die Australier im Schnitt die doppelte Menge Fleisch und die Amerikaner immerhin noch 118 Kilogramm im Jahr.


Es ist ein offenes Geheimnis, dass der immense Fleischkonsum Gift für die Umwelt* ist. So sind 15 Prozent der Treibhausgase der Tierhaltung geschuldet. Schwerer wiegt vielleicht nur noch die Tatsache, dass rund 33 Prozent der Anbaufläche zur Erzeugung von Futtermitteln reserviert sind und dafür regelrecht ganze Regenwälder geopfert werden. Fazit: Ohne Trendumkehr im Fleischkonsum ist längstens 2050 der Ofen aus und stehen weltweit keine weiteren Flächen mehr für die Fleischproduktion zur Verfügung. Wenn ein 500-Gramm Rindersteak 3,2 Kilogramm Getreide verschlingt, gebietet die Vernunft, bei sich Einkehr zu halten und aufs nächste Stück Fleisch zu verzichten. Zumindest, solange die Massenproduktion des Laborfleischs noch Zukunftsmusik ist. Läuft allerdings alles wie geplant, dürften künftig innerhalb von zwei Wochen mehrere Tonnen In-vitro-Fleisch drin sein. Und diese Produktionszeit kann sich gemessen an der traditionellen Tierzucht allemal sehen lassen.


Fleisch in Petrischale auf weißem Labortisch im Umfeld von Chemikalien

Quelle: Midan Marketing auf Twitter


Gesundheit: Zwischen Akzeptanz und Ablehnung


Womöglich bedarf es nicht des Appells an die Vernunft und ist mit der Empathie Genüge getan. So sind die Fleischesser zwar nach wie vor in der Überzahl, doch ökologische und ethische Bedenken befeuern zusehends das Interesse an Laborfleisch. Umfragen zufolge würden mehr als 50 Prozent der Europäer Laborfleisch kaufen, in den Vereinigten Staaten gar zwei Drittel der Verbraucher. Und wenn es als koscher und halal eingestuft wird, dürfte sich das In-vitro-Fleisch noch größerer Beliebtheit erfreuen.


Wie immer hat aber die Spaltung Konjunktur*, wäre es zu schön, um wahr zu sein, wenn sich alle Konsumenten auf eine Meinung einigen könnten. Auf 30 Prozent der Befragten einer Umfrage des Umweltbundesamtes 2019 wirkt die Idee des kultivierten Fleischs verstörend. Sie sehen im Laborfleisch nur Nachteile. Sie empfinden es als unnatürlich, haben Bedenken punkto Lebensmittelsicherheit und würden es von daher nicht in ihr Ernährungsprogramm aufnehmen. Ja, de facto ist 60 Prozent der Befragten das Laborfleisch überhaupt kein Begriff. Dies ist umso bedauerlicher, als mit dem Clean Meat der Antibiotikaeinsatz und die Möglichkeit multiresistenter Keime der Vergangenheit angehören und damit für Zoonosen wie Covid-19 Schluss ist. Wie gesund ist Laborfleisch also? Tja, das wird die Zukunft weisen. Noch liegen keine Statistiken vor, die belegen, dass Laborfleisch etwa das Darmkrebsrisiko von konventionellem Fleisch wirksam ausschaltet.


Hände mit Fleisch in Petrischale

Quelle: The Quad Magazine auf Twitter


Zukunft: Für Bill Gates und Richard Branson ein Must-have


Es ist ein offenes Geheimnis, dass vom Laborfleisch die Unternehmen angezogen werden wie die Motten vom Licht. 80 Stück sind es mittlerweile, die sich um die Herstellung marktfähiger Zuchtfleischprodukte bemühen. Der US-amerikanischen Non-Profit-Organisation Good Food Institute zufolge haben die Start-ups rund um kultivierte Fleisch- und Molkereiprodukte 360 Millionen US-Dollar 2020 eingesammelt, umgerechnet also rund 600 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Crux ist bloß, dass von den unzähligen Launch-Versprechen der Laborfleischindustrie letztlich herzlich wenig übrig bleibt*. Ja, de facto hat es allein das Silicon-Valley-Start-up Eat Just bis dato geschafft, erfolgreich den Fuß in den Markt zu setzen und die Erlaubnis für den kommerziellen Verkauf von synthetischem Fleisch einzuholen. Im Dezember 2020 hatten geladene junge Menschen, die ihr Engagement für den Aufbau eines besseren Planeten auszeichnet, erstmals die Möglichkeit, Laborfleisch im Restaurant »1880« in Singapur zu verkosten.


Ungeachtet aller Startschwierigkeiten erfreuen sich die Laborfleisch-Start-ups weiterhin großer Beliebtheit. Die Milliardäre Bill Gates und Richard Branson sind jedenfalls von der Zukunft des synthetischen Fleischs überzeugt*. Widrigenfalls hätten sie wohl kaum Millionen in Memphis Meats, einen kleinen kalifornischen Player, gesteckt.


Abgepacktes Laborfleisch in Tiefkühltruhe

Quelle: University of Melbourne auf Twitter


Herausforderung: Ohne Kostensenkung kein Triumphzug


Dass das Laborfleisch mit den Kosten seine liebe Not hat, ist nichts Neues. So werden etwa die in Singapur verkauften Chicken Nuggets von Eat Just mit Pflanzenproteinen gestreckt, um sie für vertretbare 50 US-Dollar feilbieten zu können. Und die Produktionskosten für ein halbes Kilogramm Memphis Meat beliefen sich 2018 gar auf stolze 2.400 US-Dollar. Eine Skalierung der Produktion soll, so CEO Uma Valeti, im Verein mit der Entwicklung einer kostengünstigen Nährstofflösung für die Kultivierung der Zellen Abhilfe schaffen. Im Schnitt ist zur Stunde Laborfleisch wenigstens 100-mal teurer als konventionelles Fleisch. Und gesetzt den Fall, dass die niederländische Beratungsfirma CE Delft recht hat, wird Clean Meat allenfalls für 15 Euro je Kilogramm zu haben sein. Auch damit wäre noch das Zehnfache der gegenwärtigen deutschen Produktionskosten für Schweinefleisch zu berappen. Womöglich ist für Vegetarier und Veganer Laborfleisch aber auch weniger aus Kostengründen keine Option, sondern weil fetales Kälberserum als bestes Nährmedium gilt. Es wird aus dem Blut der noch schlagenden Herzen der Kälberföten gewonnen. Und ebendie segnen durch die Entnahme das Zeitliche.



* Unbezahlter Weblink (Eigenwerbung)


Disclaimer:

Dieser Artikel dient lediglich Informationszwecken und stellt weder eine Anlageberatung noch eine umfassende Aufklärung über die Risiken beim Kauf, Verkauf und Halten von Finanzprodukten dar. Der Verfasser haftet nicht für etwaige Verluste, die einer Umsetzung der Gedanken und Ideen des Artikels geschuldet sind.

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