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Collin Coel

Die Marktgestalter von morgen: Prosumer

Aktualisiert: 29. Mai

Nicht erst seit gestern machen Prosumer von sich reden. Vielmehr gehen sie auf das 1980 erschienene Buch »The Third Wave« des US-amerikanischen Futurologen Alvin Toffler zurück. Allerdings empfand er Prosumer bloß als Antwort auf gesellschaftliche Entwicklungen. Mittlerweile hat sich ihr Stellenwert hingegen grundlegend verändert. So sind Prosumer für die Energiewende unverzichtbar und sorgen im Handel für eine neue Form der Produktgestaltung.


Illustration einer Influencerin

Quelle: Gerd Altmann auf Pixabay


Ein Kofferwort feiert Triumphe


Prosument ist für Prosumer das Synonym im Deutschen. Letztlich handelt es sich aber bei beiden Wortschöpfungen um sogenannte Kofferwörter. Heißt im Klartext: Prosumer ist eine Verschmelzung der Wörter producer und consumer, während Prosument dementsprechend den Begriffen Produzent und Konsument geschuldet ist. Spätestens daraus erhellt, dass der Prosumer einen Verbraucher bezeichnet, der sich gleichzeitig als Produzent in die Wertschöpfungskette einbringt*.


Inzwischen ist diese Definition zu kurz gegriffen. Immerhin darf sich ein Konsument auch dann einen Prosumer heißen, wenn er gemessen an Otto Normalverbraucher höhere Ansprüche an ein Produkt* stellt. Seine Sachkenntnis erlaubt ihm also, durch die Nutzung der sozialen Netzwerke den Hersteller zu Produktmodifikationen zu bewegen. In anderen Worten wird er, wenn man so will, zum Co-Designer des feilgebotenen Produkts. Nicht von ungefähr werden die Influencer des Webs von Herstellern und Verkäufern geradezu hofiert.


Attraktive Frau beim Livestream fürs Online-Shopping

Quelle: rawpixel.com auf Freepik | Designed by Freepik


Für Prosumer nach Beispielen zu suchen ist im Lichte dessen weiter keine Hexerei. Blogger und Vlogger zählen zu den Prosumenten ebenso wie Entwickler, die in einem Open-Source-Projekt à la Thunderbird oder Mozilla Firefox ihre Fähigkeiten ausreizen. Auch Crowd Funding und Crowd Sourcing sind als Prosumption einzustufen. Während Crowd Funding schlicht dazu dient, online Geld für ein Start-up einzusammeln, wird Crowd Sourcing seiner Sache gerecht, wenn Petitionen auf Change oder Avaaz fruchten und Bewertungen auf Tripadvisor ein Urlaubsdesaster verhindern.


Der Klimaschutzbeitrag ist nicht von der Hand zu weisen


• Kosten zählen


In Anbetracht der nunmehr vergleichsweise günstigen Photovoltaikanlagen und der enormen Strompreisanstiege ist es nicht weiter verwunderlich, dass immer mehr Privathaushalte mit der eigenen Stromerzeugung liebäugeln. Zwangsläufig werden sie damit zu Prosumern, was so schlecht aber beileibe nicht ist. Immerhin ist der Strom aus der Photovoltaikanlage ohne Batteriespeicher für 8 bis 11 Cent je Kilowattstunde zu haben, während der Strom aus dem Netz 2021 mit 32 Cent je Kilowattstunde zu Buche schlug.


• Photovoltaik en vogue


Dass sich für Prosumer die Photovoltaik zum echten Bringer gemausert hat, ist bloß die halbe Wahrheit. Selbstredend leisten sie mit ihrer Eigenversorgung einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz*. Dabei muss es nicht zwingend die Solaranlage sein, die überschüssigen Strom ins Netz einspeist und bei Bedarf Strom aus dem Netz bezieht. Auch Betreiber von Blockheizkraftwerken haben das Zeug, als Prosumer für einen geringeren ökologischen Fußabdruck zu sorgen. 2 Millionen Photovoltaikanlagen waren jedenfalls 2021 in Deutschland am Netz, wovon knapp ein Drittel aufs Konto von Privathaushalten ging. Experten beziffern das Potenzial für Solaranlagen ohne Speichersysteme in privaten Haushalten 2035 auf 14,5 TWh. Dies entspräche umgerechnet einer Leistungssteigerung von 580 Prozent gemessen am Jahr 2019.


Solaranlage auf Dach

Quelle: Ulrike Leone auf Pixabay


• Flexibilität gefragt


Auch ohne Solaranlage am Dach ist es möglich, mit dem Wechsel vom Konsumenten zum Prosumer Energie zu sparen*. Dies namentlich dann, wenn die Versorger die Angebotsschwankungen des Stroms erneuerbarer Energien preislich abbilden. Opportun ist es mithin, mit niedrigen Preisen bei hohem Angebot und geringer Nachfrage zu operieren. Sollte der Strom also zur Mittagszeit bei strahlendem Sonnenschein entsprechend billig sein, fühlt sich der Endverbraucher naturgemäß eher bemüßigt, sein Elektroauto ans Netz zu hängen und die Waschmaschine anzuwerfen. Ohne Digitalisierung dürfte da aber wohl der Wunsch der Vater des Gedankens sein. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen fürs Smart Home wären jedenfalls seit 2. September 2016 mit dem Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende (GDEW) vorhanden.


Mit der Kommunikation auf Augenhöhe dräut kein Shitstorm


• Verbraucherkritik schwer zu bremsen


Zusehends sieht sich der Handel als Kollaborateur und holt den Konsumenten für die Produktion und Vermarktung der Produkte ins Boot. Nicht länger ist der Verkäufer nur Mittelsmann zwischen Herstellern und Konsumenten. Vielmehr ziehen neuerdings alle an einem Strang, sehen sich alle als gleichberechtigte Partner. Speziell der mündige Konsument ist es leid, am Ende der Wertschöpfungskette vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden*. Ergo wird er nicht müde, bei Bedarf Herstellern wie Verkäufern die Meinung zu geigen und, sollte sich nichts zum Besseren wenden, einen Shitstorm vom Zaun zu brechen.


• Von der Lifestylekette MUJI lernen


Weit gefehlt, zu glauben, dass sich ausschließlich einschlägige Influencer als Prosumer im Marketing bezahlt machen. Ja, de facto beginnt, wie Hidehiko Nishikawa, Martin Schreier und Susumu Ogaw in ihrer Studie 2013 gezeigt haben, die erfolgreiche Einführung und Vermarktung eines Produkts bereits vor seiner Herstellung mit der Einbindung von Otto Normalverbraucher*. Darf ebender seine Wünsche kundtun, verkauft sich das Produkt im ersten Jahr nach Verkaufsstart dreimal so gut wie jenes, das allein Ergebnis der hauseigenen Designer ist. Zumindest legen diesen Schluss jene Möbel der japanischen Lifestylekette MUJI nahe, die Gegenstand besagter Studie waren. Hinzu kommt, dass sich die Mitwirkung von Kunden beim Design von Produkten auch in einer höheren Produktlebensdauer niederschlägt.


MUJI-Filiale bei Nacht

Quelle: Retail News Asia auf Twitter


• Sozialem Umfeld der Verbraucher Bedeutung beimessen


Überhaupt sind Kunden die besten Markenbotschafter. In sozialen Netzwerken wird zwar viel geschwatzt, endlich aber zeichnen sie lediglich für 0,5 Prozent der Handelsumsätze verantwortlich. Dafür sind die Kauferfahrungen von Freunden, Bekannten und Verwandten umso wichtiger. Wenn eine Studie der Harvard Business Review belegt, dass 19 Prozent der Zeit, die Konsumenten am Smartphone hängen, fürs Socializing reserviert sind, sollten Händler über Möglichkeiten einer Einbindung dieser sozialen Rückmeldungen in den Kaufprozess nachdenken.


• Prosumer im Spannungsverhältnis zwischen Preis und Wert


Auch wenn letztlich selbst für die Prosumer der Preis über den Kauf eines Produkts entscheidet und persönlichen Überzeugungen regelmäßig den Rang abläuft, dürfen Hersteller auf die Vermittlung von Werten nicht verzichten. So erhellt aus dem Prosumer-Report Retail Forward von Havas, dass sich 92 Prozent der Prosumer Produkte wünschen, die einen positiven Einfluss auf Mutter Erde ausüben. 89 Prozent haben hinwiederum mit Produkten nichts am Hut, die als gesundheitsschädlich zu betrachten sind. Und 74 Prozent der Prosumer verlangen faire Preise für Lieferanten und Produzenten. Diese Ergebnisse sollte der Handel nicht auf die leichte Achsel nehmen. Immerhin basiert die Studie von Havas auf einer globalen Umfrage von nahezu 16.000 Personen.


* Unbezahlter Weblink (Eigenwerbung)

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