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Collin Coel

Ayahuasca: Vom Geheimtipp zum Megahype

Aktualisiert: 29. Mai

Wie viele Deutsche auf Ayahuasca schwören, ist nicht bekannt. Einschlägigen Schätzungen zufolge tummeln sich aber allein in Berlin mehrere Tausend Konsumenten. Nicht von ungefähr. Schließlich interessieren sich für den bitteren Lianentee weltweit immer mehr Leute. Üblicherweise sind ebendie wenigstens 30 Jahre alt und auf Introspektion, Spiritualität und Psychotherapie scharf. Bis zu 1000 Euro ist ihnen denn auch die innere Reinigung mit dem Psychedelikum wert.


Schale mit Ayahuasca

Quelle: worldwide chemshop auf Twitter


Mehr als bloß ein bitteres Gebräu


Bei Tage besehen ist Ayahuasca dreierlei: die Liane Banisteriopsis caapi, der auf Basis dieser Liane gewonnene Trank und die Zeremonie, in der das Gebräu verabreicht wird. Die Liane als solche wäre gleichwohl ohne die Beimischung von Blättern des Kaffeestrauchs Psychotria viridis absolut wirkungslos. Vielmehr ist es das Alkaloid Dimethyltryptamin (DMT) der Blätter, das die Visionen auslöst. Nur sorgt die Liane dafür, dass der natürliche Neurotransmitter DMT nicht augenblicklich durch das Enzym Monoaminoxidase (MAO) abgebaut wird. In anderen Worten ist die Ayahuasca-Liane ein überaus effizienter MAO-Hemmer. Und mit der Blockade der MAO-Ausschüttung im Magen hat das DMT freie Bahn ins Blut und vermag im Gehirn für jene unfassbaren Halluzinationen zu sorgen, für die Ayahuasca weithin bekannt ist.


Sting und Lindsay Lohan als erklärte Fans


Microdosing ist im Silicon Valley gerade der letzte Schrei. Von Mikrodosierungen halluzinogener Drogen halten Experten allerdings nichts. Wer sich davon Kreativitätsimpulse oder einen Konzentrationsschub verspricht, befindet sich auf dem Holzweg. Schon gar nicht ist bei einer unwirksamen Unterdosierung die Ayahuasca-Erfahrung einer Bewusstseinserweiterung drin. Auch wenn es für den Sinn des Lebens* im Grunde genommen nicht mehr als der empfundenen Freude bedarf, teilt selbstredend nicht jeder die Ansicht des LSD-Entdeckers Albert Hofmann.


Sting mit Gitarre auf Konzert

Quelle: Berliner Morgenpost auf Twitter


Namentlich für Zelebritäten wie Sting ist der besondere Kick vonnöten, um der Fülle des Reichtums noch etwas abgewinnen zu können. Während aber Sting 1987 mit einer simplen Ayahuasca-Zeremonie im brasilianischen Dschungel auf Wolke sieben schwebte, braucht es neuerdings scheint’s den Bungee-Sprung aus einem Helikopter und den Sturz in die Tiefen des Grand Canyon, um sich lebendig zu fühlen und sich im Blitzlichtgewitter zu freuen wie ein Stint. Gut, dass Will Smiths verquere Vorstellung von Lebensqualität* bis dato nicht Schule gemacht hat und es nach wie vor Hollywoodstars à la Lindsay Lohan gibt, denen ein Ayahuasca-Trip genügt, um wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen. Ihren eigenen Aussagen zufolge soll ihr die regenerative Kraft des Pflanzensuds geholfen haben, die Trümmer der Vergangenheit abzuschütteln.


Selbstheilung neben der Gefahr einer Psychose


30 Minuten nach der Einnahme des Tees ist mit den Halluzinationen zu rechnen. In den folgenden vier bis sechs Stunden durchleben die Teilnehmer der Retreats sodann längst vergessene Begebenheiten der Kindheit, blicken gleich Zuschauern auf ihren Körper und Geist und nehmen jedes Geräusch bewusster als üblich wahr. Bei Ayahuasca ist der Name Programm. Die »Ranke der Seelen« ruft nämlich Bewusstseinserweiterungen hervor, die für lebensverändernde Entscheidungen sorgen. Viele Teilnehmer empfinden es als Segen, endlich zu wissen, was im Leben wichtig ist*. Während die einen die Beziehung beenden, kündigen die anderen den Job.


Dass sich Ayahuasca durch Erfahrungen solcher Art rasch zur Modedroge mausern würde, war abzusehen. Nichts verraten die Internetseiten der Schamanen allerdings von den Unannehmlichkeiten ihrer Zeremonien. Es beginnt schon mal damit, dass sich die Teilnehmer alle 40 bis 60 Minuten übergeben müssen. Das Kotzen ist freilich eine lässliche Sünde des Lianentees. Weit schlimmer ist seine Wechselwirkung mit Medikamenten gegen Depressionen, zumal dadurch mitunter ein Serotonin-Syndrom ausgelöst wird, das sich in Krämpfen, Schweißausbrüchen und Übelkeit äußert und unter Umständen zum Tod führt. Nicht genug damit. Dass beim Konsum von Ayahuasca die Gefahren auch in einer Psychose liegen, machen jene 3,4 Prozent der Konsumenten deutlich, die nach der Einnahme des Tees wenigstens an einer psychotischen Phase laborierten. Und wenn mit Ayahuasca eine Psychose einhergeht, bedeutet das für die Betroffenen nichts anderes, als den Bezug zur Realität gänzlich zu verlieren.


In der Psychotherapie hochwillkommen


Ungeachtet dieser unerfreulichen Tatsachen spricht an sich nichts dagegen, mit Ayahuasca eine Zeremonie zu bestreiten. Aus gutem Grund strömen in den Urwaldkliniken die Touristen regelrecht aus allen Winkeln der Erde herbei, um sich bei nächtlichen Ritualen in der psychedelischen Welt ihrer Sorgen und Ängste zu entledigen. Von daher ist es nicht weiter verwunderlich, dass seit gut zwei Jahrzehnten faktisch jede Woche im Einzugsgebiet von Iquitos und Pucallpa eine neue Ayahuasca-Klinik ihre Pforten öffnet. Kurzum: Das Geschäft blüht. Die 50 Dollar, die ebendort für eine Sitzung zu berappen sind, mögen zwar Europäer und Amerikaner als läppischen Betrag empfinden, für die Bevölkerung im peruanischen Amazonas entspricht diese Summe aber der Hälfte ihres durchschnittlichen Jahreseinkommens.


Nahaufnahme von Herrenbeinen mit Blick in den Abgrund

Quelle: Adrian Malec auf Pixabay


Das Geld sind die Sitzungen allemal wert, nachdem sich bei Ayahuasca die Wirkungsdauer nicht auf die besagten paar Stunden der Halluzinationen beschränkt. Vielmehr verspricht die Modedroge Langzeiterfolge in der Psychotherapie. Zumindest vermochte der ICEERS-Gründer Benjamin De Loenen mit dem Pflanzensud treffliche Ergebnisse in der Trauerbehandlung zu erzielen, nachdem Ayahuasca seinen Patienten eine veränderte Sicht auf den Tod erlaubte. Ryan LeCompte, der Leiter der Veterans for Entheogenic Therapy, organisiert gar Reisen nach Peru, um amerikanische Kriegsveteranen, die an einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden*, mit Ayahuasca wieder auf Kurs zu bringen. Und Wissenschaftler der University of Alabama und der John Hopkins University nehmen sich der Selbstmordkandidaten an. Ihre empirischen Langzeitstudien mit 190.000 Erwachsenen haben 2015 die positive Wirkung von psychedelischen Substanzen wie Ayahuasca auf selbstmordgefährdete Personen belegt. Es überrascht von daher nicht, dass sie an einer weiteren Auslotung des Therapiepotenzials von Ayahuasca & Co brennend interessiert sind.


Noch nicht überall legal


Der Psychologe Philippe Bandeira de Mello, der die Arca da Montanha Azul gegründet hat, spricht sich entschieden dagegen aus, Ayahuasca eine Droge zu heißen. Mit Bezeichnungen wie Entheogen oder Psychedelikum geht er hingegen d’accord. In seiner Heimat Brasilien ist das die gängige Ansicht. Solange Ayahuasca Teil eines religiösen Rituals ist, geziemt es sich nicht, den Vergleich mit einer illegalen Droge zu strapazieren. Österreich tutet ins gleiche Horn, in Deutschland fällt das DMT-haltige Getränk hingegen unter das Betäubungsmittelgesetz und verbietet sich von daher für den rituellen Gebrauch. Schlüssig ist der deutsche Gesetzgeber in diesem Betreff allerdings nicht. Immerhin gehört DMT zur Natur des Menschen. In lebensbedrohlichen Situationen kann er nicht umhin, DMT auszuschütten. Heißt im Umkehrschluss: Wer sich der deutschen Gesetzgebung anschließt, betrachtet den Menschen generell als illegales Wesen.


* Unbezahlter Weblink (Eigenwerbung)

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