Einer Statista-Umfrage im Jänner 2017 zufolge halten rund 11 Prozent der befragten Deutschen täglich bei sich Einkehr, während sich weitere 30 Prozent noch wenigstens einmal pro Woche explizit der Achtsamkeit widmen. Diese Zahlen zeugen gleich den Verkaufsstatistiken von Meditations-Apps von der Bedeutung, die der Mensch der Besinnung auf sich selbst beimisst. Ganz ohne Kritik kommt aber auch das Achtsamkeitstraining nicht aus.
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Wurzeln: Vom religiösen Auftakt zum Megatrend
Wer sich der Achtsamkeit verschreibt, lebt im Hier und Jetzt. Er genießt den Moment, während er Vergangenheit und Zukunft bewusst gedanklich ausklammert. In anderen Worten ist erklärtes Ziel des Achtsamkeitstrainings, das Leben bewusst zu leben und für eine höhere Lebensqualität* zu sorgen. Bereits kleine Änderungen genügen, um den Alltag erträglicher zu machen. So geht allein mit dem Verzicht auf das Multitasking ein massiver Stressabbau einher.
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Die Konzentration auf die Gegenwart fällt mit der Meditation um ein Bedeutendes leichter, weshalb ebendie zum Wesen der Achtsamkeit gehört. Ihren Ursprung hat die Meditation im Buddhismus*. Ja, genau genommen ist es Buddhisten um nichts anderes als um eine achtsame Lebensführung zu tun. Kurioserweise war es mit dem Molekularbiologen Jon Kabat-Zinn ausgerechnet ein Schüler des Zen-Buddhismus, der sich quasi gegen die Achtsamkeit durch Meditation aussprach, indem er in den 1970er-Jahren das Achtsamkeitstraining MBSR (Mindfulness-Based Stress Reduction) entwickelte. Der Name ist dabei Programm. Mit an Meditation und Yoga angelehnten Übungen wird versucht, dem Stress beizukommen. MBSR-Schüler lernen, sich ihrer Emotionen und physischen Empfindungen bewusst zu werden, ohne sie zu be- oder verurteilen. Nachdem sich dieses Training bestens bewährt hat, hat es in den 50 Jahren seines Bestehens auch kaum Änderungen erfahren.
Erwartungen: Trotz nachweislicher Vorteile harsche Kritik
Wiewohl der Siegeszug des Achtsamkeitstrainings seit den 1990er-Jahren nicht mehr aufzuhalten ist und Ärzte, Lehrer wie Arbeitgeber das Potenzial einer besseren Stimmung, Leistung und Gesundheit zu schätzen wissen, ist wahrlich nicht ein jeder ein erklärter Freund der Achtsamkeit.
Kritik entzündet sich namentlich am Gebrauch von Apps, denen mitnichten die Wirkung eines formellen Trainings zugesprochen wird. Auch fehlen den Kritikern entsprechende wissenschaftliche Befunde, die anhand von Kontrollgruppen den Placeboeffekt von Achtsamkeitsübungen ausschließen. So ist der Achtsamkeit die Kritik sicher, wenn ihr attestiert wird, für mehr Mitgefühl der Menschen* zu sorgen. Ja, genau genommen sei, so der allgemeine Tenor der Kritik, für die Aufmerksamkeit die Definition noch wissenschaftlich zu vage, um konkret sagen zu können, wann sich ein Proband im achtsamen Zustand befindet.
Effekte: Körper und Psyche gleichermaßen Profiteure
Eine 2021 veröffentlichte Metaanalyse mit 136 Studien und mehr als 11.000 Teilnehmern belegt, dass achtsamkeitsbasierte Interventionen mit Angst, Stress und depressiver Verstimmung aufräumen. Angenommen wird, dass die Linderung des emotionalen Schmerzes zweierlei Ursachen hat: zum einen die Verringerung der Konnektivität zwischen der Amygdala und dem präfontalen Kortex, zum anderen die Zunahme der grauen Substanz im präfrontalen Kortex bei gleichzeitiger Rückbildung der Amygdala. Aus gutem Grund wird mit der achtsamkeitsbasierten kognitiven Therapie, kurz MBCT genannt, wiederkehrenden Depressionen Paroli geboten. Die Wirksamkeit von MBCT ist erwiesen, allerdings verspricht die Behandlung keine besseren Resultate als die kognitive Verhaltenstherapie oder eine medikamentöse Hilfe.
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Bis zu acht unterschiedliche Hirnregionen werden bei Achtsamkeitsübungen laut Studien angesprochen. Die intensivere Arbeit des Gehirns sorgt unweigerlich für eine bessere Konzentration. Auch ist mit einem höheren Selbstvertrauen zu rechnen, das einem die Handhabung schwieriger Situationen* wesentlich erleichtert. Eine Überlegung wert ist das Achtsamkeitstraining aber allein schon deshalb, weil bereits 60 bis 80 Minuten genügen, um körperlichen Schmerz erträglicher zu machen. Ja, de facto gleicht diese Dosis Achtsamkeit einer doppelten Portion Morphium, nachdem Untersuchungen des Neurowissenschaftlers Fadel Zeidan von der University of California in San Diego ergaben, dass im Schnitt eine Schmerzlinderung von 45 Prozent drin ist. Interessant dabei ist, dass der schmerzlindernde Effekt der Achtsamkeit auch nicht ausbleibt, wenn man die Freisetzung körpereigener Opioide, wie sie für Medikamente, Placebos, Hypnosen und Gebete üblich ist, verhindert.
Angebote: Nachhaltige Wirkung durch jahrelange Praxis
Mit Achtsamkeitsübungen wider den Stress
• Atmung
Eine kontrollierte Atmung kann Wunder wirken. Wer die Augen schließt und zehnmal tief durch die Nase ein- und ausatmet und bei jeder Einatmung ein »Lass« und bei jeder Ausatmung ein »los« gedanklich mitschwingen lässt, hat den Grundstein zur Achtsamkeit gelegt.
• 3, 2, 1, Go!
Diese Aufforderung gilt es, laut aussprechen, um seinen Hintern aus dem Bett zu kriegen oder eine Aufgabe bewusst anzupacken.
• Szenewechsel
Behagt einem die Gesellschaft eines anderen nicht, ist es ratsam, sich unter einem fadenscheinigen Vorwand aus dem Staub zu machen.
• Optimismus
Es heißt, dass die Umsetzung von Glaubenssätzen* nach 3 Wochen zur Gewohnheit und nach 3 Monaten zur Selbstverständlichkeit wird. Insofern geziemt es sich, jeden Tag mit einer positiven Einstellung* zu starten und den Menschen vorurteilsfrei zu begegnen.
• Dankbarkeit
Wer sich der Dankbarkeitsübung verschreibt, ist bereits bei Tagesanbruch für ein bis drei Dinge dankbar.
Apps mehr Segen denn Fluch
Meditations-Apps stehen namentlich in Indien hoch im Kurs, wie eine Umfrage zwischen Februar 2020 und März 2021 ergab. 40 Prozent der Befragten hatten in den vergangenen zwölf Monaten das Verlangen nach einer Meditations-App, während sich in Deutschland immerhin noch 24 Prozent der Befragten zum Kauf einer solchen App im Betrachtungszeitraum entschieden haben. Diese Zahlen überraschen einigermaßen im Lichte der allgemeinen Kritik, die an Meditations-Apps geübt wird. In der Tat hat auch eine einschlägige Untersuchung 2015 gezeigt, dass von der Fülle des Angebots nicht einmal fünf Prozent der Achtsamkeits-Apps mit einem qualitativ hochwertigen Training aufwarten. Insofern ist es nicht weiter verwunderlich, dass die Testsieger Calm und Headspace auch Jahre später noch in der Gunst der Nutzer ganz oben stehen.
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• Calm
Beruhigende Geräusche garantieren für einen entspannten Zustand des Nutzers. Filter erlauben ihm, sich jene Meditations-Sessions herauszupicken, die seinen individuellen Ansprüchen genügen. Für 2 bis 20 Minuten taucht er damit in eine Welt ab, die ihn aller Ängste und Sorgen entledigt.
• Headspace
Headspace führt den Nutzer gezielt mit wissenschaftlicher Information an die Kunst der Meditation heran. Die App verspricht einen Konzentrationsschub, ein Stimmungshoch und eine bessere Kontrolle der Emotionen.
* Unbezahlter Weblink (Eigenwerbung)
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