1,1 Milliarden Dollar Umsatz, 490 Millionen Zuseher und Turniere mit bis zu 40 Millionen Dollar Preisgeld: Die Zahlen von 2021 sprechen für sich. E-Sport hat sich zum Kult gemausert. Und seine Protagonisten, die Pro-Gamer, stehen völlig zu Recht in einer Reihe mit Fußballern und Popsängern. Nichtsdestotrotz ringen sie nach wie vor um Anerkennung. Beileibe nicht alle Welt sieht in ihnen Leistungssportler.
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Mitnichten übergewichtige, unterbelichtete Zocker
Das Klischee hält sich hartnäckig. Wenn Otto Normalverbraucher mit E-Sport nicht schon die geballte Ladung Gewalt von Ego-Shootern assoziiert, kursiert wenigstens das Gerücht der Couch-Potatoes, die in finsteren Räumen vor dem Bildschirm hocken und sich pausenlos den Ranzen vollschlagen. Aus der E-Sport-Studie der Deutschen Sporthochschule Köln erhellt indes, dass das Gros der im Jahr 2019 befragten 1200 E-Sportler jung, intelligent und sportlich überaus aktiv ist. Der herkömmliche Sport schafft dabei den nötigen Ausgleich zum mehrstündigen, täglichen Training*, das zur Erhöhung der Reaktionsgeschwindigkeit unabdingbar ist.
Überhaupt ähnelt das Leben der professionellen Gamer sehr jenem von Leistungssportlern. Auch ihren Alltag diktieren Fitness- und Athletiktraining, Leistungsdiagnostik, sportpsychologische Betreuung und Ernährungsberatung*. Selbst Dopingkontrollen stehen bei Turnieren auf dem Programm, seit 2015 erstmals ein Dopingsünder von sich reden gemacht hat. Die Wettkämpfe sind aber auch wahrlich nicht ohne. Die Motorik ist ebenso gefordert wie die Taktik und Kommunikation. So entpuppten sich laut Studien des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung und der Psychiatrischen Universitätsklinik der Charité Videospiele als exzellentes Gehirntraining. In anderen Worten führen sie zu einer Vergrößerung jener Hirnbereiche, die für die Gedächtnisbildung, das strategische Denken, die räumliche Orientierung und die Feinmotorik verantwortlich zeichnen.
Quelle: LEZ.SH - Landeszentrum für eSport&Digitalisierung auf Twitter
Mit der Gemeinnützigkeit auf Kurswechsel
Noch ist der Wunsch der Vater des Gedankens. Allerdings gibt der deutsche Gesetzgeber zur berechtigten Hoffnung Anlass, dass der digitale Wettkampf in Bälde offiziell als Sport anerkannt ist. Immerhin haben sich SPD, Grüne und FDP darauf verständigt, den E-Sport gemeinnützig zu machen. Und ebendiese Gemeinnützigkeit ist unerlässlich, um im Amateurbereich den E-Sport mit Vereinen zu beleben.
Erst im Februar 2022 hat Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker in der Sportzeitschrift »Kicker« massiv für den E-Sport die Trommel gerührt. Das enorme wirtschaftliche und soziale Potenzial, so Reker, rechtfertige allemal die Anerkennung des E-Sports als offizielle Sportart. Nicht ganz in dieselbe Kerbe schlug hingegen eine repräsentative Umfrage des Verbands der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche 2020. Immerhin aber ein Drittel der Befragten betrachtete den E-Sport als normale Sportart. Dafür bekundet das Internationale Olympische Komitee (IOC) umso mehr Interesse am E-Sport. Bereits im November 2017 hat das IOC E-Sport als Sport anerkannt. Und 2022 sollten erstmals Computer- und Videospiele in der ostchinesischen Stadt Hangzhou bei den 19. Asienspielen als olympische Disziplin vertreten sein. Allein Covid hat der erklärten Absicht einen Strich durch die Rechnung gemacht und für eine Vertagung der Spiele auf den Herbst 2023 gesorgt. An sich spricht aber auch nichts gegen den E-Sport als olympische Disziplin*. Immerhin hat das IOC 1999 selbst Schach zum Sport erklärt, ein Brettspiel mithin, das definitiv ohne körperliche Aktivität auskommt.
Milliardenmarke geknackt
Schenkt man den Marktprognosen Glauben, dürfte der E-Sport 2022 rund 1,384 Milliarden Dollar einspielen. Gemessen an 2018 entspräche dies einer Umsatzsteigerung von nahezu 100 Prozent. Gesprengt hat der E-Sport die Milliardenumsatzmarke allerdings bereits 2021, als mit 1,137 Milliarden Dollar 140,5 Millionen Dollar mehr umgesetzt wurden als 2020.
Das Gros des Umsatzes erwirtschaften seit alters Asien, Europa und Nordamerika. Während Asien für 42 Prozent des Umsatzes gut ist, mischen Europa und Nordamerika jeweils mit 25 Prozent mit. 60 Prozent der Einnahmen waren 2021 dabei Sponsoren und Werbetreibenden geschuldet, während der Verkauf von Übertragungs- und Medienrechten immerhin noch 15 Prozent der Gelder in die Kassen spülte. Kaum ins Gewicht fallen dafür die Einnahmen aus Ticketverkäufen und Merchandising.
Quelle: The International auf Twitter
Angesichts der Massen, die bei Live-Events regelmäßig herbeiströmen, überrascht diese Umsatzanalyse einigermaßen*. 2021 waren knapp 6 Prozent der Weltbevölkerung oder umgerechnet rund 490 Millionen Menschen bei E-Sport-Events mit von der Partie. Blickten 2018 weltweit erst 197 Millionen Menschen Pro-Gamern über die Schulter, waren 2020 immerhin schon 240 Millionen am digitalen Wettkampf interessiert. Allein Twitch, die größte Livestreaming-Plattform für Videospiele, hielt 2021 die E-Sport-Fans nahezu 20 Milliarden Stunden in Atem. Im Lichte solcher Erfolgsmeldungen ist es nur recht und billig, die Protagonisten dieser Mega-Spektakel angemessen zu vergüten. So ging es beim Dota-2-Turnier »The International 2021« um nicht weniger als ein Preisgeld von rund 40 Millionen Dollar.
Frauen noch Mangelware
Der eSport Verband Österreich (ESVÖ) hat bestätigt, was die Spatzen längst von den Dächern pfiffen: Der E-Sport ist männlich. So haben sich in der Alpenrepublik bloß 10 Prozent Spielerinnen in die Szene verirrt. Damit steht Österreich allerdings nicht allein auf weiter Flur. Auch international sähen die Veranstalter gern mehr weiblichen Aufputz*. Immerhin ist die Gamer-Szene ungleich aufgeschlossener als etwa die Fußballgemeinde.
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Nicht von ungefähr hat der weltgrößte E-Sport-Veranstalter ESL 2016 mit der Initiative Any Key die Diversität auf seine Fahne geschrieben. Auf harsche Kritik stoßen dabei aber reine Frauenturniere. Weniger, weil sie schlechter dotiert sind, sondern mehr, weil getrennte Ligen im E-Sport jeder Grundlage entbehren.
In der Schule salonfähig
Dass der E-Sport mit Spielen aufwartet, die unterrichtstauglich sind, war Norwegern, Schweden, Chinesen und Amerikanern längst bewusst. In Deutschland brauchte es hingegen scheints mit der ZEIT ein überregionales Wochenblatt, um gemeinsam mit der Electronic Sports League (ESL) den E-Sport ins Klassenzimmer zu bringen*. Im Herbst 2020 ging das Unterfangen ESportZ an den Start, am 5. Februar 2021 stand mit dem Goethe Gymnasium Lichterfelde bereits der erste Sieger der ESportZ-Schulmeisterschaft fest. Und exakt ein Jahr später war es das Bernstorff-Gymnasium Satrup, das die Palme errang und das Gymnasium In der Wüste sowie das Eleonoren-Gymnasium Worms auf die Plätze verwies.
Wie die KIM-Studie 2020 im Auftrag des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest zeigt, gehören für rund 25 Prozent der 6- bis 13-Jährigen Computer-, Konsolen- und Onlinegames zum Alltag. Insofern bräuchte es nicht einmal den Corona-Kick, um die Digitalisierung der Bildung mit Siebenmeilenstiefeln voranzubringen. Fairerweise ist allerdings auch anzumerken, dass sich die Reihen der Kritiker von Computerspielen generell lichten. Ja, nahezu einig sind sich die Bildungsexperten mittlerweile, dass Gaming mehr als nur Spiel und Spannung ist. So erfreuen sich Gamer einer besseren Konzentration und einer größeren Ausdauer. Sie neigen verstärkt zur Selbstreflexion und mausern sich nach und nach zu gewieften Strategen. Endlich aber erleben sie mit Nachdruck, was es mit dem Teamgeist und der Inklusion in praxi auf sich hat.
Selbst das Heer am E-Sport interessiert
Bei Tage besehen war es bloß eine Frage der Zeit, bis der E-Sport in Österreich Heeres-Sache wird. Schließlich liegt die Spitzensportförderung neben der Sportausbildung* nicht erst seit gestern in den Händen des Heeressportzentrums.
Quelle: ESVÖ - E-Sport Verband Österreich auf Twitter
Spät, aber doch hat sich 2021 auch im österreichischen Verteidigungsministerium herumgesprochen, dass E-Sport als neue Trendsportart einzustufen ist und enormes Zukunftspotenzial birgt. Erfreute sich der E-Sport als Breitensport also erst nur großer Beliebtheit bei der Bevölkerung, ist nun offenbar auch das Bundesheer auf den Geschmack gekommen. Mit dem Kärntner Fabio Özelt hat das Heeressportzentrum jedenfalls schon mal einen vorzeigbaren uniformierten E-Sportler im Gepäck. Europaweit wird er auf Rang 109 geführt, weshalb rein spielerisch faktisch ausschließlich noch in der Verbesserung der Ausdauer und Schnelligkeit* oder, wenn man so will, der Kondition und Konzentration Entwicklungsmöglichkeiten stecken. Als einer von über 450 Heeressportlern genießt Özelt jedenfalls das Privileg eines strukturierten Sporttrainings, mit dem sich bei den FIFA-Fußball-Turnieren hoffentlich Triumphe feiern lassen.
* Unbezahlter Weblink (Eigenwerbung)
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