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Collin Coel

Ungewollt kinderlos oder kinderlos glücklich?

Aktualisiert: 29. Mai

Die Studie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften spricht eine klare Sprache. Von den in Deutschland, Österreich und der Schweiz befragten Frauen hatten lediglich 5 Prozent vor, kinderlos zu bleiben. Im Endeffekt mussten sich 20 Prozent damit abfinden, keinen Nachwuchs im Haus zu haben. Namentlich Akademikerinnen waren die großen Leidtragenden. Allerdings entscheiden sich auch immer mehr Paare bewusst gegen die Familiengründung. Nicht von ungefähr hat sich die Kinderlosenquote allein in Deutschland in den vergangenen 4 Jahrzehnten nahezu verdoppelt.


Kindersneakers in Rosa

Quelle: armennano auf Pixabay


Wie kommt es zur ungewollten Kinderlosigkeit?


Von Unfruchtbarkeit spricht die Medizin, wenn mit einem Jahr regelmäßigem, ungeschütztem Geschlechtsverkehr die Schwangerschaft ausbleibt. Gut 15 Prozent der Paare bis 35 haben sich diesem Problem zu stellen. Geschuldet ist die Unfruchtbarkeit zu 37 Prozent den Frauen und zu 35 Prozent beiden Partnern, während sich die Herren der Schöpfung bloß in 8 Prozent der Fälle zur Nachwuchsplanung nicht eignen. Für 10 bis 20 Prozent der kinderlosen Paare hat die Medizin hingegen keine plausible Erklärung zur Hand.


Die Zahlenverteilung hat ihren Grund. Während nämlich dem Mann bereits mit einer Ladung oder einer flotteren Truppe Spermien gedient wäre, hat die Frau regelrecht an allen Ecken und Enden mit ihrer Unfruchtbarkeit zu kämpfen. Bei ihr ist an Störungen des Zyklus und Eisprungs ebenso zu denken wie an Verklebungen der Eileiter oder an Infektionskrankheiten. Laboriert sie nicht gerade am Tripper, machen ihr die Chlamydien zu schaffen. Die Crux bei diesen Biestern ist, dass 80 Prozent der Frauen vom Befall nichts spitzkriegen und quasi mit der Verklebung der Eileiter vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Kaum zu übersehen ist dafür die Körperfülle. Weder Über- noch Untergewicht bekommt dem Zyklus gut. Selbst körperliche Fitness ist jedoch kein Garant für den Nachwuchs. Immerhin unterschätzen namentlich sportliche Damen ihre Fähigkeit zur Fortpflanzung. Heißt im Klartext: Bereits mit 35 sackt die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft auf die Hälfte jener von 25-Jährigen. Und nur 5 Jahre später, also mit 40, haben sich die Aussichten auf eine Empfängnis einmal mehr halbiert. Wenn 2018 48 Prozent der 366.000 Erstgeborenen in Deutschland aufs Konto von Müttern zwischen 30 und 39 Jahren gingen, ist es höchste Eisenbahn, nicht länger die Ursachen für die Kinderlosigkeit beim Mann zu suchen.


moderne Rutsche auf Kinderspielplatz in Blau und Beige

Quelle: Ryse Lawrence auf Pixabay


Welche Qualen leiden ungewollt kinderlose Paare?


Außenstehenden erschließt sich nicht wirklich jenes Martyrium, das kinderlose Paare durchmachen. Zu rasch ist das Argument der Reproduktionsmedizin als Abhilfe* zur Hand. Devise: Wo ein Wille, da ein Weg. Fakt ist indes, dass bei Ausschöpfung des kompletten medizinischen Programms lediglich 60 bis 80 Prozent der Paare geholfen ist. Ganz abgesehen davon, dass eine In-vitro-Fertilisation (IVF) oder intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) kein Honiglecken ist und anständig ins Geld geht. Alles in allem ist von daher nicht nur der traurige Umstand der ungewollten Kinderlosigkeit eine drückende Last auf den Schultern der Betroffenen, sondern macht ihnen auch die reproduktionsmedizinische Behandlung gehörig zu schaffen. Insofern überrascht es nicht, dass bei Kinderlosigkeit die Depression ebenso Programm ist wie die Frustration und die Wut. Fehlender Nachwuchs erschüttert das Selbstbewusstsein und trübt das Lebensglück des Paars. Während der soziale Rückzug allerdings noch hingeht, ist die Zweckentfremdung des Sexuallebens im Dienste der Medizin absolut keine Dauerlösung. Pech nur, dass viele Kinderwunschpaare nicht wissen, wann das Maß voll ist und eine Richtungsänderung angezeigt ist.


Bonner Untersuchungen an 1033 Kinderwunschpaaren zeigen, dass nur 23 Prozent der Patientinnen einen erfolglosen IVF-Zyklus nicht als herben psychologischen Rückschlag empfinden. Umso erstaunlicher ist die Erkenntnis, dass nicht nur 77 Prozent der Frauen am Kinderwunsch festhalten, sondern sich gar 3,4 Prozent von ihnen mehr denn je ein Kind wünschen.


Verarbeitung ungewollter Kinderlosigkeit ein Muss


Aus freien Stücken will niemand mit Kinderlosigkeit Erfahrungen machen. Spielt nach einer Reihe von ICSI-Versuchen der Körper aber erst mal verrückt und setzt die Periode viel zu früh ein, womit die ganze Stimulation für die Katz ist, müssen Paare zwingend die Reißleine ziehen und die Kinderlosigkeit akzeptieren. Dass die Reproduktionsmedizin kein Allheilmittel* ist, ist nichts Neues. Und wer beizeiten lernt, einen Schlusspunkt zu setzen, erspart sich weitere Bauchkrämpfe oder Gewichtszunahmen durch Hormonbehandlungen. Er ist nicht länger hundemüde und gereizt. Ja, durchwachte Nächte gehören gar der Vergangenheit an.


Es mag durchaus zutreffen, dass Betroffene das Gefühl beschleicht, ein Kind durch nichts ersetzen zu können. Und komplett aus dem Leben verbannen lässt sich der Gedanke an ein Kind auch nicht. Immerhin wartet das Umfeld mit mehr als genug Anlässen auf, die dem kinderlosen Paar stets aufs Neue den Segen eines Nachwuchses bewusst machen. Mit einem neuen Lebensentwurf, also etwa einer beruflichen Neuorientierung oder einem gemeinsamen sozialen Engagement, wird allerdings ein klares Zeichen für einen Neubeginn gesetzt. Nicht länger an alte Wunden zu rühren heißt insofern, Rat zu suchen und Trauer zuzulassen. Fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen ist namentlich dann ratsam, wenn ein Partner für das Desaster verantwortlich zeichnet. Die Suche nach einem neuen Erzeuger will gleichwohl überlegt sein. Zuweilen wird die Frau nämlich schwanger just in dem Moment, da sie frei von allem Erfolgsdruck ist und sich ungehemmt in die Arme ihres Mannes wirft. Und spätestens damit ist dann auch die Angst, im Alter nicht vom Nachwuchs versorgt zu werden, kein Thema mehr.


Junger Mann Freundin liebkosend

Quelle: Omar Medina Films auf Pixabay


Europa auf dem Vormarsch zur Kinderlosigkeit


Fälschlicherweise könnte man beim Blick in die Statistik versucht sein, keinen Bedarf an Reproduktion und Adoption* mehr zu verorten. Doch aus den Ergebnissen der Studie des Instituts für Demographie der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) erhellt, dass der anhaltende Rückgang der Kinderzahl pro Frau im Gros der westlichen Welt nicht allein einer geringeren Nachfrage nach Kindern geschuldet ist. Vielmehr mischt bei der generellen Dezimierung des Nachwuchses nach wie vor die steigende Kinderlosigkeit entsprechend mit. Nur unterscheidet sich der Kinderwunsch merklich von Land zu Land und von Generation zu Generation.


Naturgemäß lassen sich brauchbare Aussagen zur Güte der Familienpolitik lediglich über die sogenannte Kohorten-Geburtenrate treffen. Sie gibt Aufschluss über die unverrückbare Kinderzahl von Frauen, die altersbedingt nicht länger gebärfähig sind.


Wenn in den ehemaligen sozialistischen Ländern neuerdings das Einzelkind bei den Jahrgängen 1955 bis 1970 großgeschrieben wird und das früher übliche Geschwisterchen obsolet ist, dann nur, weil die Arbeitsbelastung der vollzeitbeschäftigten Eltern zu hoch ist. Im Unterschied dazu drückt in Südeuropa, den deutschsprachigen Ländern und Ostasien die Kinderlosigkeit massiv die durchschnittliche Kinderzahl. Die traditionelle Rollenverteilung ist daran ebenso schuld wie der Ruf nach Selbstverwirklichung und individueller Freiheit. Dafür stabilisiert sich die Kinderzahl der besagten Jahrgänge in Nordeuropa und den USA. Nur leicht rückläufig ist die Kinderzahl in Neuseeland, Australien und einem Gutteil der westeuropäischen Staaten, wo dank fortschrittlicher Familienpolitik Berufs- und Privatleben leicht unter einen Hut zu bringen sind.


Was für ein kinderloses Leben spricht


Jene, die die Kinderlosigkeit akzeptieren müssen, mögen zwar fassungslos den Kopf schütteln, doch ein brennendes Verlangen nach Kindern* verspürt wahrlich nicht alle Welt. Ist die Kinderlosigkeit gewollt, dann vornehmlich, um frei und unabhängig zu bleiben. 60 Prozent der befragten Familienmuffel Deutschlands teilen diese Ansicht, 58 Prozent von ihnen sind Kinder hingegen schlicht zu teuer. Immerhin noch 51 Prozent ist die Karriere wichtiger als der Nachwuchs. Allerdings erachten 48 Prozent auch bloß den Berufsaufstieg als unvereinbar mit einem Familienleben. 46 Prozent fehlen die staatlichen Voraussetzungen und ebenso viele haben keinen Bock darauf, ihre Kinder einer ungewissen Zukunft auszusetzen. Und sollte nichts von alledem zutreffen, passt den Familienmuffeln unter Garantie die Nase des Partners nicht. Kurzum: Für eine allfällige Familiengründung braucht es einen anderen Erzeuger.


* Unbezahlter Weblink (Eigenwerbung)

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