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Collin Coel

Licht rechnet sich: Optische Chips auf dem Vormarsch

Aktualisiert: 29. Mai

Es ist bloß noch eine Frage der Zeit, bis die herkömmlichen GPU-basierten Systeme der Vergangenheit angehören und optische Computer den Ton angeben. Immerhin hat sich das von Schweizer Forschern entwickelte Exemplar mit einem 100-mal geringeren Stromverbrauch als wahrer Energiesparmeister entpuppt. Überhaupt bringen hybride optische Computersysteme die Geschwindigkeit und Bandbreite optischer Verarbeitung und die Flexibilität elektronischer Datenverarbeitung unter einen Hut. Insofern überrascht es nicht weiter, dass jene Start-ups, die sich der Entwicklung optischer Chips verschrieben haben, regelrecht wie die Pilze aus dem Boden schießen.


Zwei Schweizer Forscher mit optischem Computer bei der Analyse von Covid-19-Röntgenaufnahmen

Quelle: eeNews Europe auf Twitter


Unschlagbare Vorteile der Photonik


Die maßgeblichen Fortschritte der letzten Jahre in der Bild- und Spracherkennung sind vornehmlich künstlichen neuronalen Netzen geschuldet. Die Crux beim sogenannten Deep Learning ist allerdings, dass sich der Lernprozess der Computer einer Unmenge von Daten bedient, mit deren Verarbeitung herkömmliche Computer rasch an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit stoßen. Prozessoren mit einer seriellen Verarbeitung brauchen schier ewig und drei Tage, um ein komplexes Problem mit Abermillionen von Rechenaufgaben* zu lösen. Nicht erst seit gestern kokettieren drum Forscher mit der Idee, Computer mit Licht statt mit Elektronen zu speisen.


Licht unterschiedlicher Wellenlänge schließt eine wechselseitige Beeinflussung aus. Einesteils ist eine parallele Datenübertragung in einer Glasfaser durch verschiedenfarbige Lichtpulse problemlos möglich, andernteils erlauben optische Schaltungen die Parallelverarbeitung von Rechenoperationen. Hinzu kommt, dass die jüngste Generation optischer Chips hoch integriert ist. Heißt im Klartext: Sie ist klein im Format, dafür aber ungeheuer stabil. Den neuesten optischen Chips können damit Vibrationen und Stöße nichts anhaben. Ein großes Problem optischer Rechner ist sohin Schnee von gestern. Einer kommerziellen Verwertung der Photonik steht nichts mehr im Wege.


Optischer Chip von Lightelligence

Quelle: Majid Halali auf Twitter


Glasfasern als Datenkanäle und Datenverarbeitungszentren


Im Prinzip beruhen alle gegenwärtigen Ansätze optischer Datenverarbeitung auf einer Manipulation der Intensität von Lichtpulsen. Doch die Mannen um Demetri Psaltis und Christophe Moser von der École Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL) greifen auf die komplexen Wechselwirkungen zwischen dem Material der Glasfasern und dem Licht zurück, um die verarbeiteten Daten wunschgemäß zu verändern. Zwar klappt das Zusammenspiel von Glasfaser und Licht trefflich, das genaue Funktionsprinzip, das dahintersteckt, entzieht sich zur Stunde jedoch noch der Kenntnis der beiden Schweizer Pioniere.


SOLO, kurz für Scalable Optical Learning Operator, nennt sich ihr KI-System. Im klassischen Aufbau des SOLO-Experiments sorgt ein Laser samt einem pixelbasierten Lichtmodulator (SLM) für das Eingabebild, mit dem eine multimodale Glasfaser (MMF) gespeist wird. Am Ende der Faser fängt eine Digitalkamera das durch nichtlineare Effekte verzerrte Signal auf und überlässt es zur Weiterverarbeitung einem einfachen künstlichen neuronalen Netz. Nachdem die Faser die Rolle jener tiefen Schichten eines konventionellen neuronalen Netzes übernimmt, bleibt SOLO die Unzahl an Parametern erspart, die im Lernprozess optimiert und bei jeder späteren Anwendung abgerufen werden müssen. Punkto Verlässlichkeit schneidet SOLO dadurch um ein paar Prozent schlechter ab, dafür punktet der Scalable Optical Learning Operator durch seine ökonomische Effizienz*.


SOLO setzt neue Maßstäbe


SOLO hat bei der Einschätzung des Alters von Personen auf Porträtfotos und der Identifikation von Covid-19-Erkrankungen anhand von Röntgenbildern der Lunge bereits ganze Arbeit geleistet. Diese Leistung verdient umso mehr Respekt, als SOLO mit einem Bruchteil der üblichen Energiemenge* auskam. Gemessen an konventionellen neuronalen Netzen mit 25 Schichten bedurfte SOLO für die Begutachtung der 3000 Röntgenbilder nur eines Hundertstels des Stromverbrauchs. Den Schweizern gelang mit diesem Vergleichstest erstmals der Nachweis quantifizierbarer Energieeinsparungen. Diese Energieeffizienz spricht unstreitig zugunsten der ultraschnellen optischen Rechner.


Dass das Licht ohne die physikalischen Störungen durch Kabel auskommt und schnelle Berechnungen mit minimalem Stromverbrauch zulässt, stellt längst noch nicht die Marktreife optischer Computer sicher. So besteht die Herausforderung zur Stunde darin, die Ergebnisse mit der gleichen Geschwindigkeit und Energieeffizienz zu speichern.


Auf die nichtlinearen Effekte kommt es an


Die Nichtlinearität gehört nicht nur zum Wesen des menschlichen Gehirns*, sondern zeichnet auch die Arbeitsweise optischer Computer aus. Ja, de facto wäre an einen Lernprozess ohne nichtlineare Effekte gar nicht zu denken. In der Optik sind sie allerdings für gewöhnlich nur mit einem hohen Energieaufwand drin. Drum ist es unabdingbar, das Licht in die Glasfaser zu packen. Nur so sind nichtlineare Effekte mit geringer Lichtintensität und minimalem Energieaufwand zu erzielen. Alle halben Millimeter vermischt die Faser zur Gänze die Informationen der Pixel und zieht damit mit den Begebenheiten in einer Schicht eines tiefen neuronalen Netzes gleich. Die fünf Meter Länge des Lausanner SOLO-Experiments entfalten demnach die Wirkung eines extrem tiefen Netzwerks.


Auch wenn sich SOLO die unzähligen Parameter konventioneller neuronaler Netzwerke erspart, ist seine Leistung gegenwärtig noch der Form der Glasfaser ausgeliefert. Für eine kommerzielle Verwertung müsste die Glasfaser zwingend in einen Chip gepackt werden. Nachdem bereits jetzt ein Quadratzentimeter eines Siliziumchips für die Aufnahme eines ein Meter langen Lichtleiters in Form einer Spirale genügt, sollte sich die Frage der Stabilität des KI-Systems alsbald erübrigen.


Start-ups haben Blut geleckt


Es ist ein offenes Geheimnis, dass photonische Start-ups neuerdings alles dareinsetzen, das maschinelle Lernen mithilfe optischer Bauelemente zu beschleunigen. Während jedoch das französische Unternehmen LightOn regelrecht ein Staatsgeheimnis aus seinem ersten photonischen Co-Prozessor für Künstliche Intelligenz macht, hält sich Lightelligence, ein Start-up in Boston, weit weniger bedeckt, was die Technologie des bereits 2019 vorgestellten ersten Prototypen eines photonischen Prozessors betrifft.


Optischer Chip von Lightmatter

Quelle: TechPowerUp auf Twitter


Mit einer Finanzspritze von 100 Millionen Dollar ist das Unternehmen bestens aufgestellt. Mit zusätzlichen 80 Millionen Dollar in den Büchern steht der US-amerikanische Mitbewerber Lightmatter finanziell zwar besser da, an sich arbeiten aber die Chips beider Unternehmen mit einem Netzwerk von Mach-Zehnder-Interferometern. Nicht von ungefähr. Immerhin sind die Chips Ausfluss einer 2017 publizierten MIT-Studie, mit der die nunmehrigen Unternehmensgründer als Hauptautoren von sich reden machten.


Auch wenn einem Netzwerk von Mach-Zehnder-Interferometern im Prinzip faktisch keine mathematische Operation Probleme bereitet und eine solche Architektur Grafikprozessoren punkto Geschwindigkeit alt aussehen lässt, wird sich weisen, ob die Optik in der künstlichen Intelligenz der bewährten Siliziumelektronik den Rang abläuft und fortan das Rechnen mit Licht Standard ist.


* Unbezahlter Weblink (Eigenwerbung)

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