Ludwig Erhard, der Ziehvater der sozialen Marktwirtschaft und des deutschen Wirtschaftswunders, hält die galoppierende Inflation weniger für einen Fluch oder ein tragisches Schicksal als vielmehr für den Ausfluss einer verantwortungslosen, um nicht zu sagen kriminellen Politik. In der Tat geht das Inflationsgespenst auch erst seit Wladimir Putins Ukraine-Invasion um. Deutschland hatte im September 2022 eine Teuerungsrate von 10 Prozent am Hals, für Österreich werden fürs Gesamtjahr Preissteigerungen von 6,5 bis 7 Prozent erwartet. Und während sich die Steuersenkungen in Großbritannien als Fass ohne Boden entpuppten, drehen Notenbanker wie selten zuvor an der Zinsschraube. Noch ist die starke Kaufkraft alter Tage mehr Wunsch denn Wirklichkeit.
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Erwünschte Inflationsrate von 2 Prozent in weiter Ferne
Fast schien es, als hätte die Weltwirtschaft die Corona-Krise überstanden. Statt aber zu neuen Höhenflügen anzusetzen, kam ihr am 24. Februar 2022 der Ukraine-Krieg in die Quere. Und seither macht die Inflation mit Preissteigerungen von sich reden, die sich gewaschen haben. So stiegen die Verbraucherpreise in der EU im September um nahezu 11 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Rohstoffengpässe schlagen sich namentlich in exorbitanten Lebensmittelpreisen* nieder. Während das Brot europaweit aber noch um vergleichsweise gnädige 19 Prozent teurer wurde, müssen Länder wie Ungarn im unmittelbaren Einzugsgebiet des Kriegsschauplatzes buchstäblich 77 Prozent mehr für einen Laib Brot berappen.
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Gleich dem Institut für Weltwirtschaft in Kiel spricht das Leibnitz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München von einer unausweichlichen Rezession. So steht zu befürchten, dass Anfang 2023 die Energieversorger die gestiegenen Kosten ungeniert auf die Verbraucher abwälzen. Mit einer Normalisierung der Preise, also einer Inflation von 2,5 Prozent ist von daher erst 2024 zu rechnen. Allein schon deshalb, weil es zur Stunde in der Ukraine nicht gerade nach einer Entspannung der Lage und einer Friedenslösung ausschaut. Insofern ist es völlig belanglos, ob gemeinhin eine Teuerungsrate von 2 Prozent als Ideal* gehandelt wird, die für optimales Wirtschaftswachstum bei entsprechender Preisstabilität bürgt. Ob eine Inflation gut oder schlecht ist, bemisst sich mithin allein an ihrer Höhe. Wegzudenken aus dem Wirtschaftsalltag ist sie nicht.
Zinsschock der Zentralbanken kein Allheilmittel
Warum Inflation? Weit gefehlt, zu glauben, dass der Wirtschaft mit einer hohen Deflation besser gedient wäre. Rechnet nämlich alle Welt mit einer unaufhörlichen Verbilligung der Güter und Dienstleistungen, müssen Unternehmen zwangsläufig die Preise senken. Und wenn die Konsumenten im gleichen Atem geplante Käufe vertagen, bricht die Wirtschaft unweigerlich ein. Insofern ist es nur recht und billig, sich im Sinne der Borderlinephilosophie gegen die Schwarz-Weiß-Malerei auszusprechen und nach den Grautönen der Wirtschaft zu schreien.
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Einfach in den Griff zu kriegen ist allerdings eine verfahrene Situation wie die gegenwärtige Inflationsspirale beileibe nicht. Dass in Sachen Inflationsbekämpfung die EZB gemessen an der Fed eine schlechte Figur macht, erhellt allein aus den aktuellen Leitzinssätzen. Während sich Fed-Chef Jerome Powell entschlossen beizeiten mit drei kräftigen Erhöhungen um jeweils 75 Basispunkte für einen Zinssatz von 3,250 Prozent ausgesprochen hat, schwimmt EZB-Präsidentin Christine Lagarde erst jüngst in seinem Fahrwasser. Ihr letzter Zinsschritt von 75 Basispunkten hat dem Euroraum einen Leitzinssatz von 1,250 Prozent beschert. Die Crux dabei: Mit einer derart massiven Leitzinsdifferenz schwächelt der Euro. Und ein schwacher Euro geht mit einer Verteuerung von Gas und Öl einher, nachdem diese Rohstoffe auf dem Weltmarkt in US-Dollar* gehandelt werden. Es hat mithin schon seinen Grund, warum sich Powell durch niemanden und nichts von seinem Kurs abbringen lässt und einer Inflationsbekämpfung durch Zinserhöhungen entschieden und mit Nachdruck das Wort redet.
Des ungeachtet haben sich näher besehen sämtliche Notenbanken der sichtlichen Teuerungsraten zu spät angenommen. Ergo läuft auch die US-Notenbank jener Entwicklung hinterher, die der leichtfertigen Staatenfinanzierung durch Anleihekäufe* geschuldet ist. Hinzu kommt, dass stets die Gefahr der Wachstumsbremse und Finanzkrise dräut, wenn die Inflationsbekämpfung durch Zinserhöhung nicht in Maßen betrieben wird.
Staatliche Entlastungen und Strukturreformen als Abhilfe
Ein Blick in die österreichische Wirtschaftsforschung verrät, wie der Staat wirksam einer galoppierenden Inflation begegnen kann. So empfehlen IHS und WIFO neben kurzfristigen Entlastungspaketen vor allem langfristige Strukturreformen. Es geziemt sich mithin nicht, zur Inflationsbekämpfung Maßnahmen ausschließlich in der Geldpolitik zu setzen. Die Finanzpolitik steht wenigstens ebenso in der Pflicht.
Naturgemäß sollte die Entlastung der Haushalte dabei vornehmlich soziale Härtefälle abfedern. Genüge getan ist dieser Auflage mit der Erhöhung der Negativsteuer und der Absetzbeträge für Bezieher geringer Einkommen ebenso wie mit höheren existenzsichernden Sozialleistungen* à la Sozialhilfe, Familienbeihilfe, Ausgleichszulage und Mindestversicherung. Auch hier gilt es aber, ganz im Sinne der Borderlinephilosophie die Fiskalpolitik auf das Allernötigste zurückzufahren. Immerhin verlangt die Inflationsbekämpfung eine spürbare Verringerung der Nachfrage. Wenn also vernünftige Staatssubventionen für Energiesparmaßnahmen Nachfrage generieren, sollten die zusätzlichen Sozialleistungen den Bedürftigen des Landes vorbehalten bleiben.
Apropos Energiewende: Sie fordert nicht nur der Klimawandel nachdrücklich. Wer weiterhin unsicheren Kantonisten wie Russland vertraut und seinen Energiehaushalt von Öl-, Kohle- und Gaslieferungen eines Kriegslüstlings abhängig macht, darf sich nicht wundern, wenn er sich mit einem Mal in den kalten Wintermonaten den Arsch abfriert. Insofern ist jedes Land gut beraten, es mit der Energieautonomie möglichst weit zu treiben und der verstärkten Nutzung regenerativer Energieträger etwa durch unbürokratische Genehmigungsverfahren Vorschub zu leisten.
Mit der kalten Progression, sprich der Erhöhung der Steuerlast durch eine fehlende Inflationsanpassung*, hat Österreich bereits aufgeräumt. So wurden die Grenzbeträge der beiden untersten Tarifstufen um die Inflationsrate in Höhe von 6,3 Prozent angehoben. Damit werden ab kommendem Jahr die Bürger des Landes erst ab einem Jahreseinkommen von 11.693 Euro steuerpflichtig. Zu kurz kommen bei dieser Tarifanpassung aber auch die Bezieher mittlerer und höherer Einkommen nicht. Sie erfreuen sich immerhin einer Anhebung der Grenzbeträge um 3,47 Prozent.
Selbstredend darf im propagierten staatlichen Maßnahmenpaket der Unternehmensanreiz nicht fehlen. Insofern überrascht es nicht weiter, dass der Ruf nach einer Senkung der Lohnnebenkosten durch eine Kürzung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge und Beiträge zum Familienlastenausgleichsfonds respektive zur Wohnbauförderung laut wird.
Mit Steuersenkungen Öl ins Feuer gießen
Erst trennte sich die britische Premierministerin Liz Truss von ihrem Schatzkanzler Kwasi Kwarteng, dann nahm sie selbst den Hut und hinterließ ihrem Nachfolger einen Wirtschaftsschaden von 186 Milliarden Pfund. Ihre umfassenden Steuersenkungen erschütterten die Finanzmärkte und brachten das britische Pfund zu Fall. Nicht mehr als 44 Tage währte ihre Amtszeit, für ein lebenslanges staatliches Jahresentgelt von 115.000 Pfund oder umgerechnet rund 130.000 US-Dollar ist sie dennoch gut. Dementsprechend harsch fallen die Kommentare der Twitterer aus. Gar manch einer sähe die Frau gern im Kittchen.
Quelle: Harjinder Dosanjh auf Twitter
Als ökonomische Faustregel gilt: Steuerliche Entlastungsmaßnahmen für Energieprodukte durch eine geringere Mehrwertsteuer oder Mineralölsteuer sind tabu. Zum einen sind sie ökologisch nicht vertretbar, zum anderen mangelt es ihnen an der sozialen Treffsicherheit. Ebendie ginge gegebenenfalls mit einem unangemessen hohen Verwaltungsaufwand einher, um der Abgrenzungsprobleme Herr zu werden. Insofern ist es auch Gebot der Stunde, auf günstigere Lebensmittel durch die Senkung ihrer Mehrwertsteuer* zu verzichten. Überhaupt ist es ratsam, von staatlichen Eingriffen in den Preismechanismus abzusehen. Für einen Mietenstopp oder einen Energiepreisdeckel ist die Borderlinephilosophie deshalb nicht zu haben.
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